München um 1900

München um 1900

Industrialisierung, künstlerische Avantgarde und Frauenbewegung

Das München der Jahrhundertwende war eine rasch wachsende Stadt: hatte es 1883 noch 250.000 EinwohnerInnen, so stieg diese Zahl bis 1901 auf 500.000 EinwohnerInnen an. Damit war München nach Berlin und Hamburg die drittgrößte Stadt im Deutschen Reich. Es war eine Zeit, die auch durch rasanten technischen Fortschritt gekennzeichnet war. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes war ein wichtiger Faktor für die Industrialisierung, die im durch Landwirtschaft und Rohstoffarmut gekennzeichneten Bayern erst relativ spät um 1900 eingesetzt hat.

München war um das Jahr 1900 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 neben Berlin, Wien und Paris eine Kunstmetropole von internationaler Bedeutung, von der wichtige Impulse für die Kunst ausgingen. Im Bereich der bildenden Kunst und Literatur war es die Zeit des Aufbruchs in die Moderne. Dabei spielten die Münchner Secession, die Neue Künstlervereinigung München und Der Blaue Reiter eine wesentliche Rolle. Die künstlerische Avantgarde der bildenden Künstlerlnnen und LiteratInnen war vor allem im Stadtteil Schwabing beheimatet. Dies beschrieb die Schriftstellerin Fanny von Reventlow 1912 so: “Schwabing ist nicht Stadtteil, sondern eine geistige Bewegung.”

Das Café Stefanie in München, um 1900 ein Treffpunkt der Schwabinger Boheme (Stadtarchiv München, DE-1992-FS-STB-6952, lizenziert durch CC BY-ND 4.0) https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=456207

München war aber nicht nur Kunstmetropole, sondern um 1900 auch eines der Zentren der Ersten Deutschen Frauenbewegung, da zwei der bedeutendsten Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, Anita Augspurg Lida Gustava Heymann, sowohl in Berlin als auch in München ihren Wohnsitz hatten und in beiden Städten tätig waren.

Entstanden war die Frauenbewegung vor dem Hintergrund der sich grundlegend verändernden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Situation im 19. Jahrhundert. Besonders ab 1870 zeigte sich die Notwendigkeit, vor diesem Hintergrund für Frauen grundlegende Rechte zu erkämpfen.

Etwa um 1890 spaltete sich die Frauenbewegung in eine bürgerliche und eine proletarische Frauenbewegung. Aus den Zielen bzw. Forderungen sowohl der bürgerlichen als auch der proletarischen Frauenbewegung ist ersichtlich, welche fundamentalen Rechte erst durchgesetzt werden mussten.

Der Bund Deutscher Frauenvereine wurde 1894 gegründet. Als Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung war er ein Zusammenschluss von insgesamt 34 Gründungsvereinen, die im Jahr 1900 in Deutschland 70.000 Mitlieder hatten (im Jahr 1912 waren es bereits 328.000). Ihre Ziele waren die Gleichberechtigung der Frauen in Ehe und Familie, gleiche Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten, der Ausbau des Arbeiterinnen- und Mutterschutzes, die Abschaffung der Diskriminierung der Frauen durch das Preußische Vereinsgesetz (das den politischen Zusammenschluss von Frauen verbot), und das Stimmrecht.

Bereits 1894 wurde in München die Gesellschaft zur Förderung der geistigen Interessen der Frauen durch Anita Augspurg gegründet, der auch mit der künstlerischen Avantgarde in Verbindung stand. Dieser Verein gründete in der Folge 1898 eine Rechtsbelehrungs- und Rechtsschutzstelle für Frauen, 1900 die Centralstelle für Wohlfahrtseinreichtungen, 1906 die Abteilung für Soziale Arbeit und 1908 eine Auskunftsstelle für Frauenberufe. Nach der Veranstaltung des ersten Allgemeinen bayrischen Frauentages im Jahr 1899nwurden bis 1909 in 35 Städten Ortgruppen gegründet, die sich 1909 im Hauptverband bayrischer Frauenvereine zusammenschlossen.

Anita Augspurg, 1902.
Atelier Elvira. https://commons.wikimedia.org/
wiki/File:Anita_Augspurg.jpg

Der Verband fortschrittlicher Frauenvereine, der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung, konstituierte sich 1899 in Berlin unter der Leitung von Minna Cauer, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann als eigener Verein. Sein zentrales Anliegen war die Aufhebung des Preußischen Vereinsgesetzes, das Frauenstimmrecht, höhere Bildung für Mädchen und Zulassung von Frauen zum Studium und das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper.

Die proletarische Frauenbewegung in Deutschland war Teil der ArbeiterInnenbewegung und mit 175.000 Mitgliedern 1914 die größte proletarische Frauenbewegung der Welt. In der Zeitschrift “Gleichheit” veröffentlichte deren Chefredakteurin und führende Theoretikerin der proletarischen Frauenbewegung, Clara Zetkin, 1896 den zentralen Forderungskatalog der Proletarischen Frauenbewegung. Dieser umfasste die Ausdehnung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes, Einführung des gesetzlichen Achtstundentages, gleichen Lohn für gleiche Leistung ohne Unterschied des Geschlechtes, Anstellung weiblicher Fabriksinspektoren, aktives und passives Wahlrecht der Arbeiterinnen zu den Gewerbegerichten, volle politische Gleichberechtigung der Frauen mit den Männer, uneingeschränktes Vereins- Versammlungsrecht, gleiche Bildung, freie Berufstätigkeit und privatrechtliche Gleichstellung der Geschlechter.

Clara Zetkin 1897. https://commons.wikimedia.org/
wiki/File:Clara_Zetkin.jpg

Frauen um die Jahrhundertwende waren weitgehend rechtlos. Jene, die der künstlerischen Avantgarde angehörten und ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben führen wollten, sich den bürgerlichen Moralvorstellungen und gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen dieser Zeit widersetzen, alternative Vorstellungen von Beziehungen und Mutterschaft lebten und für die Selbstbestimmung über ihren Körper eintraten, taten dies zu einem sehr hohen Preis.

In einer Ausstellung über die Frauen der Bohème hat die Münchner Monacensia-Bibliothek, eine wissenschaftliche Sammlung zur Geschichte, Literatur und Kultur der Stadt München, dies anhand von drei Schriftstellerinnen gezeigt. Darüber erzähle ich nächste Woche.

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