Schule!

Schule!

250 Jahre Schulpflicht in Österreich

Während über die Geschichte des Radios Allerorten berichtet wird, ist es um einen anderen für uns alle wichtigen Jahrestag bisher relativ still geblieben: Die Einführung der Schulpflicht vor 250 Jahren durch Kaiserin Maria Theresia.

Schulen gab es selbstverständlich schon vorher, allerdings war der Erwerb von Wissen auf eine kleine Gruppe von Menschen beschränkt. Im Mittelalter war das Erlernen von Lesen und Schreiben noch auf die Klöster, und damit auf Mönche und einige wenige zur adeligen Schicht gehörende Außenstehende, beschränkt. Der Klerus als schreibkundige Schicht war es auch, der durch die Anfertigung von Handschriften das Wissen der Zeit in Büchern weitergab und damit seine Verbreitung kontrollierte. Für Mädchen gab es in dieser Zeit überhaupt nur die Möglichkeit, zu Hause oder in Nonnenklöstern Unterricht erhalten.

Mit der Entstehung der Städte und der Änderung von Wirtschaft und Handel im 14. und 15. Jahrhundert wurden Grundkenntnisse des Lesens für eine breitere Bevölkerung notwendig. Noch immer eng mit dem religiösen Leben verbunden, entstanden neben den Dom- und Klosterschulen privat oder von den Städten finanzierte Schulen, die in erster Linie den Kindern des Bürgertums vorbehalten waren.

Später wurde die sog. “deutsche Schule” eingeführt, eine Vorstufe der späteren Volksschule, in denen Kinder im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wurden und – für Kaufleute und Händler besonders wichtig – das Münzsystem, Maß- und Gewichtseinheiten kennen lernten. Damals wurden auch erste Mädchenschulen eingerichtet, die als Privatschulen aber nur für das Bürgertum, das es sich leisten konnte und wollte, offen standen.

Eine grundlegende Änderung bedeutete Mitte des 15. Jahrhunderts die Erfindung des Buchdrucks und die weitere Verbreitung von Büchern und Schriften. Ein weiterer wichtiger Schritt erfolgte in der Reformationszeit im 16. Jahrhundert. Die Übersetzung der Bibel aus dem Lateinischen in die deutsche Sprache durch Martin Luther gilt als Begründung der deutschen Schriftsprache.

In der Habsburgermonarchie gab es Anfang des 18. Jahrhunderts zwar zumindest in den meisten größeren Orten durch Schulgeld finanzierte private Schulen, diese standen jedoch unter der Kontrolle der Kirche. In diesen Elementarschulen wurde Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion unterrichtet. Der Besuch von Lateinschulen wie auch Universitäten war ausschließlich für Knaben vorgesehen.

Eine allgemeine Unterrichtspflicht gab es noch nicht. Erst im ausgehenden 18. Jahrhundert kam es unter der Regentschaft von Maria Theresia zu einer einschneidenden Änderung für den Grundschulbereich. Letztlich war dies eine Folge der durch den siebenjährigen Krieg mit Preußen (1756-1763) verursachten dramatischen finanziellen und wirtschaftlichen Probleme, die eine Vielzahl an Reformen in vielen Bereichen wie Landwirtwirtschaft, Handel, Industrie und Gewerbe nach sich zogen und damit in Verbindung stehend Weiterbildung und Schulbildung der Bevölkerung verlangten.

Die “Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen in sämtlichen Kaiserl. Königl. Erbländern”, erlassen am 6. Dezember 1774, legte fest, dass alle Kinder, d.h. Buben und Mädchen, im Alter von sechs bis dreizehn Jahren verpflichtend für sechs Jahre Unterricht erhalten sollten.

Allgemeine Schulordnung 1774. Quelle: Wienbibliothek im Rathaus

Daraufhin wurden in der ganzen Monarchie Schulen errichtet. Unter dem Nachfolger Maria Theresias, Kaiser Joseph II., neben den von der katholischen Kirche geführten Schulen auch staatliche Einrichtungen. Für Mädchen entstanden in der Folge einige Privatschulen. Mit dem Offizierstöchterinstitut und dem Zivilmädchenpensionat entstanden auch staatliche Schulen für Mädchen. Allerdings darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Schulen Töchtern aus bürgerlichem und adeligem Haus vorbehalten waren und sie vor allem auf Ihre Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereiten sollten.

Mit dem Reichsgesetzblatt 1869, durch welches die Grundsätze des Unterrichtswesens bezüglich der Volksschulen festgestellt werden (Reichsvolksschulgesetz) wurde die Grundlage für das gesamte Pflichtschulwesen geschaffen, mit Zielvorgabe und einer Festlegung der zu unterrichtenden Gegenstände. Die Notwendigkeit dafür ergab sich aus dem verlorenen Deutschen Krieg und seinen Folgen. Eine der sehr unterschiedlichen Ursachen dieser Niederlage war, dass zwei Drittel der Soldaten Analphabeten waren. Die weitreichenden politischen Folgen dieser Niederlage führten 1867 zur sog. Dezemberverfassung mit dem Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger.

Durch das Reichsvolksschulgesetz wurde das Pflichtschulwesen dem Staat unterstellt. Gleichzeitig erfolgte eine Erhöhung der Schulpflicht von bisher sechs auf acht Jahre. Die achtklassige öffentliche Volksschule wurde zur Pflichtschule. Zugleich wurde die Möglichkeit geschaffen, nach fünf Jahren eine dreijährige Bürgerschule zu besuchen. Diese stand auch Mädchen offen, allerdings war in ihrem Lehrplan weniger Arithmetik und Geometrie und mehr Handarbeiten vorgesehen. Im gleichen Jahr wurde auch die erste staatliche Lehrerinnenbildungsanstalt eingerichtet – eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen, einen Beruf auszuüben.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde durch den Minister für Unterricht und Präsidenten des Stadtschulrates für Wien Otto Glöckel eine weitere Schulreform eingeleitet. Ein zentrale Errungenschaft war die Zulassung von Mädchen in öffentliche Knabenmittelschulen. Diese konnten bis dahin nur in Privatschulen Hochschulreife erlangen. Gleichzeitig erfolgte die weitere Öffnung der Universitäten für weibliche Studierende, die bis zu diesem Zeitpunkt nur zur Philosophischen Fakultät und zum Medizin- und Pharmaziestudium zugelassen waren.

Es soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass es trotz aller seit 1774 erlassenen gesetzlichen Regelungen erst durch die Eindämmung der Kinderarbeit in der Zwischenkriegszeit gelang, die Schulpflicht weitgehend durchzusetzen.

1927 wurde die Hauptschule als Pflichtschule für die 10-14Jährigen eingeführt. Der Austrofaschismus ab 1933 und später die Zeit der Nationalsozialismus führten jedoch wieder zu einer grundlegenden Einschränkung der Mädchenbildung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine einheitliche Rechtsbasis für das österreichische Schulwesen durch die Schulgesetze 1962 geschaffen. Die Schulpflicht wurde auf neun Jahre verlängert. Auf rechtlicher Ebene erfolgte die Aufhebung der Trennung von Ausbildungszweigen nach Geschlecht, wodurch Mädchen formell Zugang zu allen Bildungseinrichtungen erhielten. Gleichzeitig wurde die Pflichtschullehrerausbildung an Pädagogischen Akademien eingeführt.

Vor dem Hintergrund der Politik des gleichen Bildungszugangs für alle Kinder eröffneten die 1970er Jahre mit der Einführung der SchülerInnenfreifahrt und Schulbuchaktion für viele Kinder, deren Eltern es sich sonst nicht hätten leisten können, die Möglichkeit zu höherer Bildung.

1975 wurde die Koedukation an allen öffentlichen Schulen eingeführt, 1979 der gemeinsame Werkunterricht in den Volksschulen. Es sollte noch bis 1987 dauern, bis der Gegenstand “Hauswirtschaft” (ab Schuljahr 1997/98: Ernährung und Haushalt) für alle Kinder, Mädchen und Buben, Pflichtfach wurde. Durch den Grundsatzerlass zum Unterrichtsprinzip “Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern” vom 15. November 1995 wurde die Aufnahme dieses Unterrichtsprinzips in alle neu erstellten Lehrpläne geregelt.

2009 erfolgte die Einführung der Neuen Mittelschule für alle 10- bis 14-Jährigen, die in der Folge die Hauptschulen bis 2018/19 ablöste. Mit dem Ausbildungspflichtgesetz 2016 wurde für jene Jugendlichen, die die neunjährige allgemeine Schulpflicht erfüllt haben, die Verpflichtung eigeführt, bis zur Erreichung des 18. Lebensjahres eine weiterführende Schule zu besuchen, eine Lehre zu absolvieren oder eine Ausbildung beim Arbeitsmarktservice zu machen.

Heute ist die Schulpflicht im Bundesgesetz über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985) einschließlich seiner erfolgten Änderungen geregelt.

Die Bildungspolitik hat statistisch nachweisbar große Erfolge zu verzeichnen. So stieg die Zahl der MaturantInnen von 14 % der Frauen und 18 % der Männer im Jahr 1970 kontinuierlich auf 49,7 % bei Frauen und 35,2 % bei Männern im Jahr 2021/22 (Statistik Austria) an.

Eines hat sich allerdings bis heute nicht geändert: Nach wie vor wirkt sich die Schulbildung der Eltern und ihre soziale Herkunft wesentlich auf die Bildungslaufbahn der Kinder aus. Dringend notwendige politische Maßnahmen zu einer Lösung dieses Problems stehen noch aus.

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