Genderidentitäten

Nach der Richtungsweisenden Ausstellung “Ladies First! Künstlerinnen in und aus der Steiermark 1850-1950”, die einen hervorragenden Überblick über das Schaffen von Künstlerinnen in der Steiermark gab, präsentiert die Neue Galerie Graz nunmehr als 2. Teil des Projekts die Ausstellung “Ladies and Gentlemen. Das fragile feministische Wir”.

Diese Ausstellung ist der Zeit von den 1960er Jahren bis heute gewidmet und unternimmt den Versuch, die Kunst der letzten 60 Jahre vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion über Genderidentität zu zeigen, wobei es nach den AusstellungskuratorInnen, Gudrun Danzer und Günther Holler-Schuster, um eine Zeitreise von der Gegenwart zurück bis in die 1960er Jahre geht. Vorgestellt werden internationale und österreichische Werke, bekannte und fast vergessene Positionen, die in dieser Zeitspanne geschaffen wurden. Die Kunstwerke stammen größtenteils aus der Kunstsammlung der Neuen Galerie und geben damit auch einen Überblick über die Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte dieser Institution und den letzten Jahrzehnten.

Aufgrund der gewählten inhaltlichen Konzeption, die als Hauptthemen feministische Positionen, die Bedeutung der Geschlechterrollen und Geschlechteridentitäten hat, sind die KuratorInnen bei dieser Ausstellung davon abgegangen, ausschließlich Werke von Künstlerinnen zu zeigen; allerdings sind rund 85 % der gezeigten Werke von Frauen.

Die Ausstellung ist nicht chronologisch, sondern in insgesamt 5 Räume zu unterschiedlichen Themen gegliedert. In Raum 1 zum Thema “maskulin, feminin, Transformer” wird geht es um den Unterschied zwischen biologischem und sozialem Geschlecht (Gender), Geschlechterrollen und sexuelle Identität. Gezeigt werden künstlerische Positionen, die sich mit Rollenspiel als künstlerischem Mittel zum Aufbrechen der Zuschreibung von männlichen und weiblichen Rollenbildern befassen.

Raum 2 ist der weiblichen Selbstbestimmung im Pop-Zusammenhang gewidmet, da viele Künstlerinnen in der Phase der Pop-Art und des Noveau-Realisme tätig waren. Sie waren in vielen Fällen in der Frauenbewegung, der Bürgerrechtsbewegung oder der Antivietnambewegung engagiert und haben diese Kunstrichtungen mit ihren Ideen und ihrem Schaffen mitgeprägt. In den 1990er-Jarhen gab es dann in der Kunstwelt eine intensive Auseinandersetzung mit dem der weiblichen Konsumwelt, dem weiblichen Genießen und einer Hinwendung zur Selbstbestimmung.

Ein sehr spannender Raum ist der 3. Raum, der dem Thema Krieg und Globalisierung gewidmet ist. Da Künstlerinnen in den Bürgerrechtsbewegungen und/oder Friedensbewegungen vertreten waren und sind, spiegelt dieser Raum die Debatten in der Kunst um eine gewaltfreie Gesellschaft, Kolonialismus und den Frauenrechten in islamisch geprägten Gesellschaften und ihre Positionen dazu wieder. Zu diesem Thema sind die Bilder, die die Sichtbarkeit als wesentlichen Faktor von Selbstbestimmung und Identität und die Totalverschleierung als Form der Auslöschung thematisieren, besonders beeindruckend.

Die den Themen Rollenbild und Rollenverweigerung gewidmeten Räume 4 und 5 beschäftigen sich mit verschiedenen von der Neuen Frauenbewegung der 1960er- und 1970er Jahre vor dem Hintergrund der Kampfes um Selbstbestimmung aufgegriffenen Fragestellungen, wie den traditionellen Rollenbildern, der Gleichberechtigung von Frau und Mann im privaten und öffentlichen Bereich, gleichem Lohn für gleiche Arbeit, dem von Männern bestimmten Schönheitsideal und die Entwicklung eines selbstbestimmten Körperempfindens und einer eigenständigen Darstellung des weiblichen Körpers.

Die Präsentation der Themen erfolgt mit verschiedensten Medien, von Bildern, Fotografien, Aktionskunst, Objekte – oft auch unter Verwendung traditioneller Handwerkstechniken-, bis hin zu Videos und Installationen. Für die jeweiligen Räume gibt es vor Ort eine sehr kurz gehaltene schriftliche Beschreibung in Form von jeweils einem A4-Blatt in deutscher und englischer Sprache. Ergänzt wird die Ausstellung durch – vor allem zur Vorbereitung auf den Besuch sehr zu empfehlende – Videos auf YouTube bzw. eines Audioguides in Form von Podcasts als Begleitung in der Ausstellung.

Den Anspruch, mit einem niederschwelligen Zugang Einblicke in wesentliche gesellschaftliche Diskurse des letzten halben Jahrhunderts zu geben, kann die Ausstellung auch aufgrund der Vielfalt der aufgegriffenen Thematiken und den zum Teil wesentlichen Veränderungen und Brüchen in der Auseinandersetzung damit in den letzten 60 Jahren nur sehr oberflächlich einlösen.

Für das Verständnis der präsentierten Themen wäre zumindest generelle Informationen über gesellschaftliche und politische Gegebenheiten, Diskussionen, Entwicklungen und Veränderungen seit den 1960er Jahren erforderlich. Auch wenn man davon ausgeht, dass grundsätzlich jedes Kunstwerk für sich allein (be)stehen kann, erscheint gerade dann, wenn es ausdrücklich in einem zeitlichen und inhaltlichen Kontext gezeigt wird, diese Form der Vermittlung zur Einbettung des Gesehenen wesentlich.

Die Ausstellung ist noch bis 30. Oktober 2022 in der Neuen Galerie Graz zu sehen!

Adresse: Neue Galerie Graz, Joanneumsviertel, Mariahilferstraße 4, 8020 Graz. https://www.museum-joanneum.at/neue-galerie-graz

Links:

Videos:

Einführung durch die KuratorInnen: https://www.youtube.com/watch?v=iHzdTeFtzlo

12 Videos zu KünsterInnen/Ausstellungsstücken: (mit einer Dauer von jeweils rund 1 1/2 bis 2 Minuten): https://www.youtube.com/watch?v=ozN_JzQ9c1U&list=PLGxksaV_y8-iK6NcGhUmbapGYVeLAjtXb

Audioguide zur Ausstellung: https://www.museum-joanneum.at/neue-galerie-graz/ausstellungen/ausstellungen/events/event/8914/ladies-and-gentlemen#c143480