Kunst der Ukraine
Kunst in bewegten Zeiten: 1900 bis 1938
Kunstausstellungen finden aus verschiedenen Gründen statt, beispielsweise weil eine Kunstrichtung oder Kunstschaffende präsentiert, ein Thema über verschiedene Kunstepochen hinweg beleuchtet oder die Sammlungen eines Museums vorgestellt werden sollen. Manchmal aber auch, wie die derzeit im Unteren Belvedere in Wien zu sehende Ausstellung “In the Eye of the Storm. Modernismen in der Ukraine”, zum Schutz von Kunstwerken vor Zerstörung.
Die Ausstellung ist auf Initiative des Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, und mit Unterstützung der Museums for Ukraine entstanden, um die Kunstwerke vor den Gefahren der russischen Invasion und einer möglichen Zerstörung zu schützen. Gestaltet wurde sie vom Belvedere, Wien, gemeinsam mit den Royal Museums of Fine Arts, Brüssel, und der Royal Academy of Arts, London, in Zusammenarbeit mit dem National Art Museum of Ukraine.
Anhand von Werken von 37 KünstlerInnen wird im Rahmen dieser Ausstellung die komplexe Geschichte der Ukrainischen Moderne ab etwa 1900 bis Anfang der 1930er Jahre einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht und die Geschichte der Entwicklung der kulturellen Identität der Ukraine erzählt. Neben Gemälden werden in der Ausstellung Entwürfe für die Ausstattung von Theaterproduktionen gezeigt und und mit Filmdokumenten auf den damals als eigene Kunstform entstehenden Film hingewiesen.
Es war eine Zeit der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche und Revolutionen, in der diese Kunstentwicklung erfolgte. Um die Situation in der Ukraine zu dieser Zeit zu verstehen, ist es wichtig, als Hintergrund einige Eckdaten der Geschichte in Erinnerung zu rufen. Um 1900 gehörten weite Gebiete der heutigen Ukraine zum damaligen Kaiserreich Russland und im Westen war Galizien mit der Hauptstadt Lemberg eine eigenständige Provinz der österreichisch-ungarischen Monarchie. Als eigenständige Nation wurde die Ukraine lange nicht anerkannt.
Nach der Revolution in Russland im Jahr 1905 erfolgte die Anerkennung des Ukrainischen als eigene Sprache und die Aufhebung des Verbots ukrainischsprachiger Publikationen, was in der Folge zu einem Aufschwung der Literatur beitrug. Ebenfalls in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, im Jahre 1904, wurde das erste Kyjiwer Museum für Kunst, Industrie und Wissenschaft eröffnet, 1905 konnte in Lemberg (Lwiw) die erste gemeinsame Ausstellung von ukrainischen KünstlerInnen aus dem russischen Reich und Österreich-Ungarn stattfinden.
Da es vor 1917 in der Ukraine keine eigene Kunstakademie gab, studierten die KünstlerInnen in St. Petersburg, Moskau, Wien, Krakau, München oder Paris. Dort lernten sie nicht nur die neuesten Kunstströmungen wie Jugendstil, Expressionismus, Kubismus und Konstruktivismus kennen, sondern auch die Bemühungen von KünstlerInnen zur Schaffung nationaler Kunststile. Dies und die Rückbesinnung auf Motive und Farben der Volkskunst sollten die Entwicklung der ukrainischen Kunst wesentlich beeinflussen. 1917 wurde in Kyjiw (Kiew) die erste Kunstakademie in der Ukraine eröffnet, in der Frauen und Männer, Personen jeden Alters und jeder Nationalität studieren konnten.
Wie der Kurator der Ausstellung, Konstantin Akinsha, darlegte, erlebte die Ukraine “wie viele andere Nationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein nationales Erwachen, das wie anderswo auch, mit dem Versuch verbunden war, unter Rückgriff auf Volksmotive und merklich nationale Themen einen nationalen Kunststil zu entwickeln.”
Dabei darf nicht vergessen werden, dass eine Vielzahl von Einflüssen zur Ausbildung einer ukrainischen Identität beigetragen haben, dazu gehören ukrainische, polnische, russische, jüdische und andere. Ein Beispiel dafür ist die Gründung der Kulturliga zur Förderung der zeitgenössischen Jüdischen Kultur. Gegründet 1918 zur Verbindung von jüdischen Kulturtraditionen und europäischer Avantgarde, bestand sie bis Mitte der 1920er Jahre und musste dann unter dem Druck des Sowjetregimes aufgelöst werden.
Im Ersten Weltkrieg war das Gebiet der Ukraine durch seine Lage an der Grenze von Österreichisch-Ungarn und Russland stark umkämpftes Frontgebiet. Bereits im Jahr 1917, nach der Februarrevolution und nach der im Oktober erfolgten bolschewistischen Revolution in Russland wurde im November 1917 die ukrainische Volksrepublik mit Kyjiw als Hauptstadt gegründet, die 1918 ihre volle Unabhängigkeit erklärte. Dies zog einen mehrjährigen, gegen das bolschewistische Russland geführten Bürgerkrieg nach sich, der bis 1921 andauern sollte und nach der Niederlage dazu führte, dass im Jahr 1922 die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik mit Charkiw als Hauptstadt Gründungsmitglied der Sowjetunion wurde.
Noch in den 1920er Jahren wurden die ukrainische Sprache und Kultur durch die Ukrainisierungspolitik der sowjetischen Regierung gefördert.
Unter Stalin erfolgte jedoch ab 1932 eine radikale Kehrtwende dieser Politik. Nachdem der sozialistische Realismus als einzige offiziell anerkennte Kunstrichtung der Sowjetunion eingeführt und Kunst zum Propagandamittel wurde, wurden die ukrainische Kunst als “bürgerlich ukrainischer Nationalismus” diffamiert, Bücher und Kunstwerke verbrannt, Wandgemälde zerstört. Die stalinistischen Säuberungen der Jahre 1937/1938 bedeuteten für viele Menschen, die der intellektuelle Elite der Ukraine angehörten, auch für KünstlerInnen, Verfolgung, Gefängnis, Arbeitslager, Tod durch Hinrichtung.
Diese Ausstellung zeigt einen bisher wenig bekannten Teil der europäischen Kultur, eröffnet einen Blick auf die wenig bekannten Kunstbewegungen in der Ukraine in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts, gibt einen Überblick über ihre Vielfalt und zeigt die Kraft und Bedeutung von Kunst in schwierigen Zeiten.
Die Ausstellung “In the Eye of the Storm. Modernismen in der Ukraine” ist im Unteren Belvedere noch bis 2. Juni 2024 zu sehen!
Adresse: Unteres Belvedere, Rennweg 6, 1030 Wien https://www.belvedere.at/besuch/unteres-belvedere
Öffnungszeiten: täglich 10:00 – 18.00 Uhr
Katalog: In the Eye of the Storm. Modernismen in der Ukraine. Hg. Stella Rollig, Konstantin Akinsha, Katia Denysova, Maryna Drobotiuk, Olena Kashuba-Volvach. Verlag Buchhandlung Walther und Franz König, Köln 2024.