Marc Chagall

Marc Chagall

Poetische Bilderwelten, leuchtende Farben

Mit einer umfassenden Ausstellung in der Albertina in Wien wird das über eine Schaffensperiode von 80 Jahren reichende Lebenswerk Marc Chagalls, ausgehend von seinem noch in zaristischen Russland geschaffenen Frühwerk bis hin zu seinen in Südfrankreich entstandenen Werken aus den 1980er-Jahren, anhand von 100 Bildern präsentiert.

Schon ein Blick auf die Lebensdaten Marc Chagalls (1887 – 1985) genügt, um einen Eindruck von den politischen Umbrüchen zu erhalten, die seinen Lebensweg gekennzeichnet haben. Geboren wurde Marc Chagall als Moissje Segal 1887 in der weißrussischen Kleinstadt Witebsk als ältestes von neun Kindern einer jüdisch-chassidischen Familie.

Marc Chagall, Anfang 1920er Jahre, Foto: Pierre Choumoff

Ab dem Alter von drei Jahren besucht der den Cheder, eine traditionell-religiöse jüdische Grundschule. Da für Juden der Zugang zu höherer Bildung eingeschränkt war, gelang es seiner Mutter nur durch Bezahlung, ihm einen Platz in der örtlichen Mittelschule zu verschaffen. Bereits früh hatte er den Entschluss gefasst, Maler zu werden. Daher verließ er die Mittelschule ohne Abschluss schon nach fünf Jahren und trat – wieder mit Unterstützung seiner Mutter – in die Malschule des Genre- und Porträtmalers Jehuda Pen ein, wo er von 1906 bis 1907 Unterricht erhielt.

Danach gelang es ihm nach St. Petersburg zu gehen. Ermöglicht wurde ihm dies durch die Unterstützung von Grigori A. Goldberg, der ihn zum Schein als Hausdiener anstellte. Damit konnte Chagall, dem als Juden aus der Provinz sonst nicht gestattet gewesen wäre, in St. Petersburg zu wohnen, eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und dort zu studieren. Er besuchte die Zeichenschule der Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Künste und eine private Kunstschule.

Von einem weiteren Mäzen, Maxim M. Winawer, erhielt er ein Stipendium, mit dem er ab 1911 seine weitere Ausbildung in Paris fortsetzen konnte. Ab 1912 wohnte er in der internationalen Künstlerkolonie La Ruche in Paris, in dem sich mehr mehr als 100 Ateliers befanden. Er besuchte Galerien und Museen, nahm die verschiedenen Einflüsse und Entwicklungen der Kunst dieser Zeit auf und verband diese in seinen Werken mit Motiven aus seiner Heimat. Vor allem Dichter und Schriftsteller erkannten bereits früh sein besonderes Talent und unterstützten seinen künstlerischen Weg. Noch in Paris konnte er zum ersten Mal im Salon des Indépendants und im Salon d´Automne, den für die moderne Kunst zentralen Ausstellungen, mehrere seiner Werke zeigen.

Auch wenn er damals seinen Namen in Marc Chagall änderte, weil dies französischer klang als sein Geburtsname, blieben seine Herkunft, seine Familie und das Leben und Umfeld im Schtetl für sein Leben und die Inhalte seiner Malerei prägend. Seine Erinnerung an Erlebtes, die prägenden Erfahrungen seiner Kindheit und die damit verbundenen Empfindungen, hat er im Laufe seines Lebens vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen und politischer Geschehnisse immer wieder neu interpretiert und in seinen Bildern festgehalten.

Diese Erfahrungen waren geprägt von zwiespältigen Gefühlen: Geborgenheit in der Familie, aber gleichzeitig Unfreiheit, Ausgrenzung und Verfolgung, der er als Mitglied der jüdischen Gemeinschaft ausgesetzt war. Witebsk war damals eine Kleinstadt innerhalb des für Juden gestatteten Siedlungsgebietes im russischen Zarenreich. Jüdinnen und Juden hatte keine Bürgerrechte, durften keinen Grundbesitz erwerben, waren weitgehend von höherer Bildung ausgeschlossen, der Willkür der Obrigkeit ausgesetzt und immer wieder von Pogromen betroffen.

Marc Chagall, Selbstbildnis in Grün, 1914. Centre Pompidou, Musée national d’art moderne-Centre de création industrielle, dation en 1988, en dépot au Musée national Marc Chagall, Nizza © Bildrecht, Wien 2024

Als Marc Chagall 1914 von Paris nach Witebsk zurückkehrte, sollte dies eigentlich nur ein kurzer Sommeraufenthalt werden. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bedeutete aber, dass er in Russland bleiben musste. Das Jahr 1915 brachte für ihn zwei einschneidende Ereignisse: den Tod seiner Mutter und seine Heirat mit Bella Rosenfeld. Ein Jahr später kam die Tochter Ida zur Welt.

Während seines Aufenthalts in Witebsk wird nicht nur seine Frau zum wichtigen Motiv seiner Malerei, sondern auch die ihm vertraute Umgebung. Seine zentralen Themen waren Geburt und Mutterschaft, der Zirkus, die Bibel und der Tod, die Fülle und Vergänglichkeit der Natur und sein Glaube an die Beständigkeit der Liebe. Ebenso zentral waren für ihn die Herstellung der Verbindung zwischen seinem persönlichen Empfinden von Heimatlosigkeit und Verfolgung mit dem größeren Kontext der jüdischen Geschichte.

Er ging dabei davon aus, dass Kunst ein Seelenzustand ist: “Unsere ganze innere Welt ist Realität – und das vielleicht mehr als unsere sichtbare Welt.” Dementsprechend meinte er: “Nennt mich nicht einen Phantasten, ich bin Realist.”(Marc Chagall)

Marc Chagall, Liebespaar, 1913/14. The Metropolitan Museum of Art, New York, Jaques and Natasha Gelman Colection, 1998 Foto bpk/The Metropolitan Museum of Art/ Malcolm Varon © Bildrecht, Wien 2024

Nach der Oktoberrevolution in Russland, die Hoffnung auf Gleichstellung aller BürgerInnen bedeutete, setzte sich Chagall aktiv für die jüdische Kunst ein. 1918 wurde er Kunstbeauftragter (Kommissar) für die Region Witebsk, wo er 1919 eine Volkskunstschule gründete, in der er die Werkstatt für freie Malerei leitete. Da es zunehmend zu Spannungen mit Vertretern der abstrakten Kunst kam, die seine Kunst als altmodisch abqualifizierten, und sich in der Folge seine Schüler von ihm abwandten, verließ er Russland und ging 1922 nach Paris zurück.

Dort wurde er in den 1920er und Anfang der 1930er zu einem der erfolgreichsten Künstler seiner Zeit. Durch den Verlust seiner vor dem Krieg zurückgelassenen Bilder, die gestohlen oder verschollen waren, begann er, Neufassungen seiner verlorenen Bilder zu malen. Bereits 1924 hatte er seine erste Einzelausstellung in Paris, danach in New York. Seine Bilder wurden vom Publikum und von Sammlern begeistert aufgenommen. Er selbst bezeichnete diese Jahre als die glücklichste Zeit seines Lebens.

Eine Palästinareise mit seiner Familie im Jahr 1931 führte zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte, die in seinen Werken Ausdruck findet. Daneben bleiben Motive aus seiner Heimat Witebsk und Motive aus seiner neuen Heimat Frankreich für seine Werke zentral.

Marc Chagall, Der Papierdrachen, 1925-26. Albertina, Wien -Sammlung Batliner © Bildrecht, Wien 2024

Die Wende sollte bereits im Jahr 1933 eintreten. Es war das Jahr, in dem in der Schweiz im Kunstmuseum Basel eine große Chagall-Retrospektive stattfand. Gleichzeitig wurden in Deutschland nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten seine Werke als “entartet” diffamiert, aus Museen entfernt und einige seiner Werke öffentlich verbrannt.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich 1940 musste Chagall mit seiner Familie in den Süden Frankreichs fliehen. Obwohl er mittlerweile französischer Staatsbürger war, nahm die Bedrohung durch Krieg und Judenverfolgung für ihn und seine Familie ständig zu. Auf Drängen seiner Tochter und durch eine Einladung des Museums of Modern Art in New York zu einer Einzelausstellung entschloss er sich im Jahr 1941 zur Flucht ins Exil in die Vereinigten Staaten – und konnte durch die Ausstellung auch seine Werke nach Amerika bringen.

In Amerika starb im Jahr 1944 seine Frau Bella, ein Schicksalsschlag, von dem er sich erst Monte später erholte. In der von seiner Tochter angestellten Haushälterin fand er jedoch eine neue Lebensgefährtin; 1946 kam der gemeinsame Sohn David zur Welt. Chagall und seine Familie kehrten im Jahr 1948 nach Frankreich und in die Provence zurück.

In dieser Zeit erlernte und beschäftigte sich Chagall mit neuen künstlerischen Techniken wie Keramik, Wand- und Glasmalerei, Mosaik- und Tapisseriekunst. Gleichzeitig begann er mit der Arbeit an seinem monumentalen Bibel-Zyklus.

Nachdem ihn seine Lebensgefährtin verlassen hatte, lernte er die in Russland geborene Valentina Brodsky kennen, die seine zweite Frau wurde, und ließ sich 1966 in Saint-Paul-de-Vence nieder. In seiner künstlerischen Tätigkeit war er unermüdlich. Er schuf Lithographien, Bühnenbilder für die Pariser Oper, das monumentale Gemälde Commedia dell’ arte für die Frankfurter Oper, machte die Deckengestaltung für die Opéra Garnier in Paris und gestaltete das Theaterfoyer und Bühnenbilder für die Metropolitan Opera in New York und gestaltete Glasfenster, wie zum Beispiel für eine Synagoge in Jerusalem, die Kathedralen in Metz, Frankreich, und Chichester (Großbritannien) und das UN-Hauptgebäude in New York. Obwohl er erst im Alter von fast 70 Jahren begonnen hatte, sich mit der Technik der Anfertigung von Buntglasfenstern zu befassen, gilt er heute als einer der bedeutendsten Vertreter dieser Kunstform im 20. Jahrhundert.

Der von ihm geschaffene Bibelzyklus Le Message Biblique – Die biblische Botschaft wurde 1967 im Louvre ausgestellt. Die Bilder wurden dem französischen Staat mit der Bedingung als Schenkung übergeben, dass in Nizza ein eigenes Gebäude dafür errichtet wird. Das Musée National Message Biblique Marc Chagall – Musée Marc Chagall, für das der Künstler die Glasfenster des Veranstaltungssaales geschaffen hat, wurde 1973 im Beisein Marc Chagalls in Nizza eröffnet.

Marc Chagall, Der große Zirkus, 1970. Albertina, Wien, Sammlung Batliner © Bildrecht, Wien 2024

Die nächsten Jahre waren von vielfältigen Erfolgen durch Ausstellungen in Europa und in den Vereinigten Staaten gekennzeichnet. 1977 erhielt Marc Chagall die höchste Auszeichnung Frankreichs, das Großkreuz der Ehrenlegion.

Seine künstlerische Schaffenskraft ist ihm bis ins hohe Alter erhalten geblieben – er hat bis zu seinem letzten Lebenstag in seinem Atelier gearbeitet. Gestorben ist er 1985 in Saint-Paul-de-Vence, wo er auch begraben ist.

Die von ihm geschaffenen einzigartigen Bildwelten mit ihren Motiven und ihrer Farbigkeit werden in der von der Albertina Wien in Kooperation mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen gestalteten Ausstellung seines Werkes für uns sichtbar und lebendig.

Die Ausstellung ist bis 9. Februar 2025 in der Albertina zu sehen!

Adresse: Albertinaplatz 1, 1010 Wien https://www.albertina.at/

Öffnungszeiten: täglich 10.00-18:00 Uhr

Link: Einführung in die Ausstellung mit dem Direktor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder (4:11 min): https://www.albertina.at/ausstellungen/chagall/?gad_source=1&gclid=CjwKCAiAxea5BhBeEiwAh4t5K87GrBQ9nGbQCO095vekXg4bBiFMF_DhwTDYsF_tUIF8iEJwhoEEFRoCDY0QAvD_BwE

Katalog: Chagall. Hrsg. Kirpicsenko, Schröder (Albertina Wien) / Gaensheimer, Meyer-Büser (Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen). Prestl Verlag, München, London, New York 2024

Chagall. Ausstellungsplakat, Albertina Wien


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