Lisa Fittko

Lisa Fittko

Antifaschistin, Widerstandskämpferin, Fluchthelferin

Anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Jänner möchte ich mit diesem Beitrag an eine Frau erinnern, die während der Zeit des Nationalsozialismus über ein Jahrzehrt lang aktiven Widerstand gegen dieses mörderische Regime geleistet hat: Lisa Fittko.

“Wir mussten uns entscheiden, wo wir standen. Wir mussten wissen, was unsere Rolle war und was wir tun konnten.” (Lisa Fittko)

Lisa Fittko
Ausweisfoto, 1942. FotografIn unbekannt.
Quelle: https://www.varianfry.org/fittko_photos_en.htm

Lisa Fittko wurde als Elisabeth Ekstein 1909 in Ungarn (damals österreichische-ungarische Monarchie) geboren und wuchs als Tochter einer assimilierten jüdischen Familie in Budapest und später in Wien auf. Durch die journalistische Tätigkeit ihres Vaters wuchs sie in einem intellektuellen und linken Umfeld auf, durch das sie stark geprägt wurde. Die damals sehr bedeutende Wiener Porträtmalerin Malva Schalek war ihre Tante; die Journalistin, Fotografin und Autorin Alice Schalek war eine Cousine ihrer Mutter.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs konnte sie mit der Aktion für Kindererholungsaufenthalte für durch die Kriegsjahre geschwächte Wiener Kinder über ein Jahr in den Niederlanden verbringen, wo sie während dieser Zeit auch in die Schule ging. In Wien besuchte sie das Lyzeum des Wiener Frauenerwerbsvereins.

Im Jahr 1922 übersiedelte die Familie nach Berlin, wo sie Germanistik und Romanistik studierte und die Möglichkeit hatte, einige Monate in Paris zu verbringen. Danach arbeitete sie als Fremdsprachenkorrespondentin bei einer Bank.

Bereits früh begann sie sich politisch zu betätigen. Zuerst als Mitglied des Sozialistischen Schülerbundes, von 1924 bis 1928 im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands und danach in der Kommunistischen Partei Deutschlands. Da sie wegen der Teilnahme an illegalen Demonstrationen von Abschiebung bedroht wurde, heiratete sie 1932 den Kommunisten Gabo Lewin, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 wurde ihr der deutsche Pass jedoch wieder abgenommen und sie verlor ihre Stellung bei der Bank.

Zu dieser Zeit begann ihr Leben in der Illegalität, wobei sie jedoch ihre politische Aktivitäten fortsetzte und an der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern gegen die nationalsozialistische Herrschaft mitwirkte. An dieser Stelle soll darauf hinwiesen werden, dass auf das Verfassen, die Produktion und die Verteilung von antifaschistischen Material verboten war und jedenfalls eine Haftstrafe, oft auch Folter und Tod, bedeuteten. Die Zeit der Illegalität von 1933 bis 1940 und ihre Tätigkeit im Widerstand und hat sie in ihrem Buch “Solidarität unerwünscht”, das erstmals 1992 erschienen ist, geschildert.

Aufgrund eines Missverständnisses wurde sie verraten und musste Deutschland bereits im April 1933 verlassen. Sie ging in die Tschechoslowakei, nach Leitmeritz, wohin ihre Eltern bereits geflüchtet waren, bald darauf jedoch nach Prag. Dort lernte sie ihren zukünftigen Mann, Hans Fittko, kennen, der aufgrund seiner politischen Tätigkeit als Mitglied und Funktionär der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ebenfalls fliehen musste. 1934 ließen sie sich von einem Rabbiner trauen.

In Prag war Lisa Fittko gemeinsam mit ihrem Mann wieder im Widerstand aktiv. Sie stellten Material zusammen und verfassten Flugblätter und Broschüren, die mit Hilfe der tschechischen Konsumgenossenschaften gedruckt werden konnten. Sie arbeiteten mit einer Gruppe von Naturfreunden zusammen, die bereit waren, Flüchtlinge über die Grenze in die Tschechoslowakei zu bringen und Literatur gegen das nationalsozialistische Regime nach Deutschland zu schmuggeln.

Nachdem Hans Fittko aus der Tschechoslowakei ausgewiesen wurde, gingen sie 1934 gemeinsam in die Schweiz, nach Basel, im Dreiländereck Schweiz, Frankreich, Deutschland. Dort übernahm Hans Fittko die Emigrationsführung der KPD und die Grenzarbeit. Tatsache ist, dass sie dort illegale Flüchtlinge waren. Trotzdem setzten sie ihre Arbeit im Widerstand in Basel fort, die Herstellung von antifaschistischer Literatur , die zum Großteil in Basel hergestellt, nach Deutschland geschmuggelt und dort von verschiedenen Anlaufstellen verteilt wurde.

Nachdem das Deutsche Reich ein Auslieferungsbegehren für Hans Fittko an die schweizerische Bundesregierung gestellt hatte, dem stattgegeben wurde, flohen sie Anfang 1936 über Frankreich nach Amsterdam, wo sie die Arbeit für die KPD und die “Grenzarbeit”, d.h. Hilfeleistung bei der Flucht aus Deutschland und das Hinüberschaffen von Literatur nach Deutschland, gemeinsam mit anderen Emigranten weiterführten. Lisa Fittkos Aufgabe war es Anlaufstelle für die Verbindungsleute zu sein, während ihr Mann an der Grenze war. Nachdem mehrere Verbindungsleute in Deutschland verhaftet worden waren, mussten sie 1938 auch diesen Zufluchtsort verlassen und gingen nach Paris, wohin bereits Lisa Fittkos Eltern und ihr Bruder geflohen waren.

Das Exilleben in Paris war von finanziellen Sorgen und der Notwendigkeit, Gelegenheitsjobs anzunehmen, beengten Unterkünften usw. bestimmt. Die Möglichkeit für Widerstandaktivitäten waren kaum gegeben. Dazu kamen Streitigkeiten zwischen linken Splittergruppen. Hans Fittko war bereits 1937 als sog. “Abweichler” als der KPD ausgeschlossen worden. Allerdings konnte er Beiträge über den nationalsozialistischen Terror für den staatlichen Radiosender schreiben, der diese in Sendungen, die er für die deutschen Truppen ausstrahlte, verwendete.

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden in Frankreich österreichische und deutsche EmigrantInnen interniert, aus Lisa Fittko und ihr Mann. Lisa Fittko kam in das Frauenlager nach Gurs, ihr Mann in das Lager nach Vernuche. Als Franakreich im Juni 1940 kapitulierte, gelang es Lisa Fittko und anderen Frauen noch vor Eintreffen der Deutschen Wehrmacht, als die Ordnung im Lager zusammenbrach, dieses mit gefälschten Ausweispapieren zu verlassen. Die Zeit von 1940, ihrer Internierung in Gurs und die Zeit im Lager, die Flucht in den Süden nach Marseille und danach nach Banyuls, wo sie als Fluchthelferin aktiv wurde, beschrieb Lisa Fittko ausführlich in ihrem erstmals im Jahr 1985 erschienen Buch “Mein Weg über die Pyrenäen”.

Es folgte eine Zeit der Suche nach ihrem Mann an ihrer Familie. Allen war es gelungen, sich in den Süden Frankreichs durchzuschlagen. Lisa Fittko und ihr Mann reisten auf Umwegen gemeinsam nach Marseille. Marseille lag damals in der noch unbesetzten Zone im Süden Frankreichs und war zu einem Zentrum der EmigrantInnen geworden, da es der einzige Hafen im unbesetzten Frankreich war, aus dem noch eine Ausreise möglich war. In ihrem Buch schildert sie ausführlich die unendlichen bürokratischen Schwierigkeiten, verschiedenste Reisegenehmigungen, Ausweis-, Arbeitspapiere und Bezugsscheine, die überlebenswichtig sein konnten, zu erhalten.

Ein Visum, das hier noch gesondert erwähnt werden soll, da es für den weiteren Verlauf von besonderer Bedeutung ist, war das visa de sortie – das französische Ausreisevisum. Dieses Visum wurde zum Verlassen Frankreichs benötigt und von der Vichy-Regierung ausgestellt. Damals konnten aufgrund des von der französischen Regierung unterzeichneten Waffenstillstandsabkommens sich in Frankreich aufhaltende Ausländer auf Verlangen an das nationalsozialistischen Regime ausgeliefert Werden. Der einzige Ausweg blieb dann nur die illegale Überquerung der Pyrenäen.

Eigentlich war ihr Ziel, Frankreich so schnell wie möglich über Marseille mit dem Schiff in Richtung Übersee zu verlassen. Nachdem dieses Vorhaben gescheitert war, blieb noch die Möglichkeit, die französische Grenze illegal Richtung Spanien zu überqueren, um nach Portugal zu gelangen, von wo aus 1940 und 1941 noch Schiffe nach Nord- und Südamerika fuhren. Trotzdem sie ihre portugiesischen Visa erhalten hatten, mussten sie eine Fluchtroute über die Berge nach Spanien finden.

Lisa Fittko fuhr daher an die französisch-spanische Grenze, um eventuelle Fluchtrouten auszukundschaften. In Banyuls, dem letzten Ort vor der Grenze erhielt sie vom sozialistischen Bürgermeister Victor Azéma den Hinweis auf die “Route Lister”, einen alten Schmugglerweg von Banyuls ins spanische Portbou, der während des spanischen Bürgerkriegs von General Lister für die republikanischen Truppen genutzt wurde. Dieser Bürgermeister und die EinwohnerInnen des Ortes haben wesentlich dazu beigetragen, dass ihre Aufgabe als Fluchthelferin gelingen konnte.

Kaum hatte sie den Fluchtweg gemeinsam mit Bürgermeister Azéma ausgearbeitet, stand sie schon vor ihrer ersten Aufgabe als Flüchlingshelferin. Ihr Mann hatte den Philosophen Walter Benjamin zu ihr geschickt, damit sie ihn und zwei weitere Personen über die Grenze bringen sollte. Als dies geglückt war, kamen über das amerikanische Emergency Rescue Committee und seinen Leiter in Marseille, Varian Fry, noch weitere Aufgaben auf sie zu.

Varian Fry war mit dem Auftrag nach Marseille entsandt worden, Fluchtwege für besonders gefährdete Personen zu finden. Zur Durchführung dieser schwierigen Aufgabe arbeitete er mit europäischen Antifaschisten zusammen, darunter auch Lisa und Hans Fittko, an die er mit dem Ersuchen um Unterstützung herantrat. Sie sagten zu, obwohl sie dadurch ihre eigenen Fluchtpläne verschieben mussten. Auf Vorschlag Lisas erfolgte die Organisation dieses Fluchtwegs, der von Varian Fry “F-Route” (F für Fittko) benannt wurde. Aus dem geplanten kurzen Aufenthalt an der Grenze sollten sieben Monate werden, in denen sie und ihr Mann jede Woche zwei bis dreimal Personen über die Grenze brachten; insgesamt weit mehr als 200 Personen.

Nachdem die Vichy-Regierung auf Anweisung Hitler-Deutschlands allen Ausländern den Aufenthalt in der Grenzregion untersagt hatte, mussten sie im April 1941 ihre Tätigkeit als Fluchthelfer einstellen und ihre eigene Flucht vorbereiten. Aufgrund neuer Ausreisebestimmungen konnten sie die Ausreisegenehmigung erhalten. Varian Fry vermittelte ihnen Visa und Plätze auf einem Schiff nach Kuba; das Emergency Rescue Committee kam auch für die von Kuba verlangte Zahlung auf, die etwaige Krankheitskosten abdecken sollte. So traten sie ihre Reise mit dem Zug durch Spanien nach Portugal an und reisten von Lissabon nach Havanna.

In Havanna arbeitete sie in einer in einer Ausbildungsstätte für deutschsprachige jüdische Flüchtlinge, Hans Fittko als Diamantenschneider. Eine Rückkehr nach Deutschland wurde zwar angedacht, kam aber aufgrund einer plötzlichen Erkrankung Hans Fittkos nicht zustande. Statt dessen gingen sie, nachdem sie 1948 die Einreiseerlaubnis in die USA erhalten hatten, nach Chicago. Ihr Bruder wohnte dort bereits mit seiner Familie und die Eltern, die in Frankreich überlebt hatten, konnten nachkommen und sich ebenfalls dort ansiedeln. Zudem erhoffte sie sich dort bessere Behandlungsmöglichkeiten als in Kuba für Hans Fittkos Erkrankung.

Lisa Fittko, die durch eine schwere Erkrankung ihres Mannes zur Familienerhalterin wurde, arbeitete als Fremdsprachenkorrespondentin und Angestellte der Universität Chicago. Hans Fittko starb im Jahr 1960. Posthum wurde er für seine Tätigkeit im Widerstand im Jahr 2000 in Israel von der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem als “Gerechter unter den Völkern” geehrt.

Lisa Fittko engagierte sich in den 1960er- und 1970er Jahren in der Bürgerrechts- und Friedensbewegung und hat 1985 und 1992 ihre beiden Bücher veröffentlicht. In Deutschland wurde sie 1986 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Sie ist 2005 in Chicago gestorben.

Am Beginn der Route, auf der sie Flüchtlinge über die Pyrenäen brachten, wurde 2001 in Banyuls für Lisa und Hans Fittko eine Gedenkstätte errichtet. An dieser Stelle beginnt auch der mehr als 15 km lange Fluchtweg, der 2007 offiziell “Walter Benjamin Weg” benannt wurde und in etwa sechs Stunden Gehzeit von Banyuls-sur-Mer über Cerbère in das spanische Portbou führt.

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