Johanna van Gogh
Schwägerin, Kunsthändlerin, Marketingexpertin
Während den Namen Vincent van Gogh fast alle kennen, ist ihr Name weitgehend in Vergessenheit geraten. Doch Johanna van Gogh, Ehefrau von Vincent van Goghs Bruder Theo und seine Schwägerin, ist es zu verdanken, dass die Bedeutung dieses Malers erkannt wurde und seine Bilder heute weltweite Wertschätzung erfahren.
Als Vincent van Gogh (1853-1890) im Jahr 1890 starb, hinterließ er seinem Bruder, Freund und Förderer, Theo, sein Werk. Theo van Gogh (1857-1891), der jüngere Bruder Vincents, war ausgebildeter Kunsthändler und leitete eine der Niederlassungen einer Brüsseler Kunsthandlung in Paris. Sein Vorhaben war es, die Werke Vincent van Goghs einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und zu vermarkten. Dazu sollte es aber nicht kommen, denn Theo starb nur ein Jahr später. Er hinterließ seine Frau, Johanna, und einen kleinen Sohn, Vincent Willem.
Johanna Bogner, geboren 1862 in Amsterdam, wuchs in einer gutbürgerlichen Familie auf, hatte das Glück, eine gute Ausbildung zu erhalten und studierte Englisch. Während dieser Zeit lebte sie einige Monate in London, wo sie in der Bibliothek des British Museums arbeitete. Danach war sie Lehrerin und unterrichtete an einem Mädcheninternat in Elburg und später an der Höheren Mädchenschule in Utrecht. Ihr Bruder Andries, der in Paris lebte und Sammler moderner Malerei war, machte sie mit dem Galeristen Theo van Gogh bekannt. Sie heirateten 1889; im Jahr 1890 wurde ihr Sohn, Vincent Willem, geboren. Zur Geburt ihres Kindes hat Vincent van Gogh ihnen das Gemälde “Mandelblüten” geschenkt.
Doch Vincent van Gogh starb noch im selben Jahr, Theo im Jahr 1891. Johanna van Gogh war mit 29 Jahren Witwe, Mutter eines Sohnes, für den sie verantwortlich war und Erbin der Werke Vincent van Goghs. Sie übersiedelte von Paris nach Bussum, einer Kleinstadt in der Nähe von Amsterdam. Zur Sicherung ihres Lebensunterhalts richtete sie eine Pension ein, die Villa Helma, die sie in den nächsten Jahren führte. In der Folge nahm sie auch Übersetzungsaufträge in die englische und französische Sprache an. Die Villa Helma stattete sie mit Werken von Vincent van Gogh aus und konnte diese damit auch den Besuchern präsentieren.
Von Anfang an aber setzte sich die gut gebildete und intelligente Frau dafür ein, Vincent van Goghs Werke bekannt zu machen und seine Kunst den Menschen näher zu bringen. Sie konnte für diese Aufgabe über beinahe das gesamte Lebenswerk des Künstlers verfügen. Obwohl ihr geraten worden war, die damals wertlosen Bilder und Zeichnungen zu verkaufen, war sie diejenige, die ihre Bedeutung erkannte. Über ihren Mann hatte sie Einblick in den Kunstmarkt gewonnen und begann sehr bald, Kontakte zu Galerien und Künstlervereinigungen zu knüpfen, mit dem Ziel, die Arbeiten öffentlich auszustellen. Sie wählte die auszustellenden Werke mit Bedacht aus und war, wie der von ihrem Sohn verfassen Biografie zu entnehmen ist, auch für die Verpackung und den Versand der Werke an die jeweiligen Ausstellungsorte zuständig. Da sie sich ihren Lebensunterhalt durch die Pension und Übersetzungen sicherte, musste sie auch keine Notverkäufe tätigen, sodass sie letztendlich die Verkäufe kontrollieren und bei einem Verkauf einen guten Preis erzielen konnte.
Zwischen 1892 und 1900 fanden in den Niederlanden rund 20 Ausstellungen statt, für die sie Bilder und Zeichnungen zur Verfügung stellte. Durch ihre beharrliche Arbeit erreichte Sie, dass das Werk einer größeren Gruppe von Künstlern und Interessierten bekannt wurde. Was aus heutiger Sicht sehr einfach erscheint – in einer Zeit aber, in der van Gogh noch nicht bekannt war, ihn niemand ausstellen wollte und seine Werke beim Publikum großteils auf Unverständnis stießen, war das eine unglaubliche Leistung.
Erst nach 10 Jahren gelang es, auch durch den Kontakt mit dem Berliner Galleristen Paul Cassierer, Ausstellungen in Deutschland zu organisieren; in den Jahren bis 1912 sollten es insgesamt 15 Ausstellungen sein, die nicht nur in Berlin, sondern auch in München, Köln und im Folkwang Museum in Hagen stattfanden. Das Folkwang Museum war auch das erste Museum, dass Bilder von Vincent van Gogh für Sammlung ankaufte.
1901 heirate sie den Maler und Kunstkritiker Johan Cohen Gosschalk ( 1873-1912), der sie bei ihrer Tätigkeit unterstützte. 1903 übersiedelte die Familie nach Amsterdam. In Amsterdam finanzierte sie 1905, zum 25. Todestag von Vincent van Gogh, eine große Ausstellung im Stedelijk Museum, auf der 457 Werke van Goghs gezeigt wurden. Tatsächlich war es so, dass Johanna van Gogh die Räume in der Galerie des Stedelijk Museum anmieten musste, um die Werke dort zeigen zu können! Das Rijksmuseum in Amsterdam hatte Leihgaben seiner Werke abgelehnt; nur unter der Bedingung, dass die zwei Zeichnungen dem Museum als Geschenk überlassen werden, wäre in Betracht gezogen worden, sie auszustellen. Im Jahr 1910 fand die erste Präsentation von Vincent van Goghs Werken im Rahmen einer Ausstellung über Post-Impressionisten in England statt; auch dort wurden seine Werke abgelehnt. Die erste Ausstellung in den USA fand 1913 statt.
Um für das Publikum einen Zugang zu seinem Werk zu eröffnen und es für die Betrachter in der damaligen Zeit verständlicher zu machen, widmete sich Johanna van Gogh ab 1905 der Aufarbeitung des Briefwechsels der Brüder Vincent und Theo. Die erste holländische Ausgabe erschien 1914. Die Einleitung dazu wurde von ihr verfasst und blieb für viele Jahre die wichtigste Information über das Leben Vincent van Goghs. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes im Jahr 1912 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges übersiedelte sie 1915 zu ihrem Sohn nach New York und kehrte erste 1919 in die Niederlande zurück. Dort begann sie mit der Übersetzung der Briefe ins Englische, knüpfte aber auch Kontakte für Ausstellungen die nach dem Ersten Weltkrieg in New York, London und Paris gezeigt wurden.
Als Johanna van Gogh 1925 starb, hatte sie ihr Ziel, dem Werk Vincent van Goghs international Ansehen zu verschaffen, erreicht. Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Ihr Sohn, Vincent Willem van Gogh (1890-1978) setze ihre Arbeit fort. Im Jahr 1960 erfolgte dann die Gründung der Vincent van Gogh-Stiftung, in die rund 200 Gemälde Vincent van Goghs und einige Werke von Paul Gauguin, rund 400 Zeichnungen und die Briefe eingebracht wurden. Diese Stiftung wurde 1962 vom Staat übernommen und bildete die Grundlage für das van Gogh Museum in Amsterdam, das 1973 im Beisein von Vincent Willem van Gogh eröffnet wurde und die weltweit größte Sammlung der Werke Vincent van Goghs beherbergt.
Link: Van Gogh Museum Amsterdam (in engl. Sprache): https://www.vangoghmuseum.nl/en