Berta Zuckerkandl

Berta Zuckerkandl

Förderin der Wiener Moderne

Berta Zuckerkandl war Journalistin, Kunstkritikerin, Schriftstellerin, Übersetzerin und hat Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einen der bedeutendsten Salons in Wien geführt.

Was heute gerne zwischen Bewunderung und Abwertung als “Salon” bezeichnet wird, war tatsächlich ein Treffpunkt von Kunst, Wissenschaft und Politik, der den kulturell-geistigen Austausch jener Menschen, die das liberale und modernen Wiens gestaltetet und mitgetragen haben, ermöglicht hat. Es waren Orte des Kennenlernens, des Kontakts weit über das eigene Arbeitsfeld hinaus und der Diskussion über die neuesten Ideen und Projekte. Zu den Personen, die in ihrem Salon zu Gast waren, gehörten Literaten wie Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Hugo von Hoffmannsthal, bildende Künstler:innen, hier vor allem Klimt und die Mitglieder der Secession, der Architekt Otto Wagner, Komponisten, darunter Gustav Mahler und Alban Berg, Theaterdirektoren wie Max Reinhardt, aber auch Wissenschaftler. Ihre familiären Kontakte nach Frankreich führten zudem zu einem regen Austausch mit französischen Künstlern und Politikern. Wobei sie am kulturellen und intellektuellen Leben ihrer Zeit nicht nur teilgenommen, sondern es wesentlich mitgestaltet hat.

Wer war diese Frau, deren Engagement ihre Zeit mitgeprägt hat? Berta Zuckerkandl (1864-1945) ist als Tochter des Journalisten und Verlegers Moriz Szeps in einer liberalen jüdischen Familie aufgewachsen. Moriz Szeps (1835-1902) war 1855 bis 1867 Chefredakteur der Wiener Morgenpost, ab 1867 bis 1886 Verleger des Neuen Wiener Tagblatts, von 1886 bis 1898 leitete er das Wiener Tagblatt und war Mitbegründer der Journalisten- und Schriftstellervereinigung Concordia.

Obwohl Mädchen der Zugang zur höheren Bildung in Gymnasien noch verschlossen war, erhielten sie und ihre Schwestern eine ausgezeichnete Erziehung durch Privatlehrer, die ihnen durch den Unterricht in Sprachen, Kunst und Naturwissenschaften eine umfassende Allgemeinbildung vermittelte. Gleichzeitig war seit ihrer Kindheit prägend, dass ihre Eltern ein offenes Haus führten, durch die journalistische Tätigkeit ihres Vaters viel über Politik diskutiert wurde und Frauen – was damals nicht selbstverständlich war – in diese Diskussionen miteinbezogen wurden.

Vilma Lwoff-Parlaghy, Berta Zuckerkandl, 1886. https://www.onb.ac.at/ueber-uns/presse/pressemeldungen/30082016-oesterreichische-nationalbibliothek-erwirbt-weitere/

Im Haus ihres Vaters hat sie auch ihren späteren Ehemann, den Anatomen Emil Zuckerkandl, kennengelernt. Nach ihrer Heirat im Jahr 1886 nahm er eine Stelle an der Universität Graz an; bereits 1888 wurde er jedoch als Universitätsprofessor an den Lehrstuhl für Anatomie der Universität Wien berufen. Nach ihrer Rückkehr nach Wien erwarben sie ein Haus in Döbling. 1895 wurde ihr Sohn Fritz geboren.

Durch die Kontakte von Prof. Emil Zuckerkandl, der sowohl angesehener Wissenschaftler war als auch großes Interesse an zeitgenössischer Kunst hatte, und die vielfältigen Aktivitäten von Berta Zuckerkandl wurde das Haus in der Nusswaldgasse zum Treffpunkt von Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern. Zudem gab es durch ihre Schwerster Sophie, die seit 1886 mit Paul Clemenceau, einem jüngeren Bruder des späteren französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, verheiratet war und selbst einen Salon in Paris führte, ständigen Kontakt mit französischer Kunst und Politik. Im Laufe ihres Lebens hat Berta Zuckerkandl 120 Theaterstücke von französischen Autoren übersetzt, eine Leistung, die durch die Verleihung des Ordens der Ehrenlegion gewürdigt wurde.

In ihren kulturpolitischen Essays und ihren journalistischen Arbeiten setzte sie sich von Anfang an für die moderne österreichische Kunst ein, für die Wiener Secession, gegründet 1897, und die Wiener Werkstätte, gegründet 1903, oder für Gustav Klimt in der Affäre um seine von der Universität Wien abgelehnten Bilder. In der im Jahr 1900 erschienen Publikation “Die Pflege der Kunst in Österreich” verfasste sie über die Synthese zwischen Kunst und Handwerk einen Betrag zum Thema “Decorative Kunst und Kunstgewerbe”.

Gemeinsam mit ihrem Mann unterstützte sie auch das Wiener Volksbildungswerk und die Gründung des Volksheimes Ottakring (später: Volkshochschule). Emil Zuckerkandl war zudem von 1901 bis zu seinem Tod Obmann des Vereins Athenäum, des Vereins für die Abhaltung von Hochschulkursen für Frauen und Mädchen, der Weiterbildung vor allem in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern anbot.

Nach dem frühen Tod ihres Ehemanns im Jahr 1910 zog Berta Zuckerkandl in eine Wohnung in der Oppolzergasse im ersten Bezirk (das Haus, in dem sich das Cafe Landtmann befindet), wo sie ihren Salon als Treffpunkt bis 1933 weiterführte. Ab 1910 bis 1922 schrieb sie für den Kulturteil der Wiener Allgemeinen Zeitung, von 1923 bis 1938 war sie für das Neue Wiener Journal tätig, schrieb sporadisch aber auch für andere Zeitungen, wie den Wiener Tag, die Volkszeitung und die Zeitschrift Bühne.

Ab dem Ende der Monarchie wandte sie sich verstärkt der Literatur zu. Von Beginn an unterstützte sie die die Salzburger Festspiele, stand mit Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal sowie den Bühnenbildnern Alfred Roller und Oskar Strnad in Verbindung und schrieb auch das Vorwort für das erste Festspielheft. Ein weiteres Beispiel ihrer Aktivitäten ist die Mitorganisation der Gedächtnisausstellung zum 10. Todestag Gustav Klimts im Jahr 1928.

Ludwig Schwab, Porträt Berta Zuckerkandl (1864–1945).1930er Jahre. ÖNB, Bildarchiv Austria, Inventarnummer Pf 16118:D (1) ( https://www.bildarchivaustria.at/Pages/ImageDetail.aspx?p_iBildID=8035865 )

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war sie im Jahr 1938 im Alter von 74 Jahren aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und liberalen Gesinnung gezwungen, Österreich zu verlassen. Sie konnte mit ihrem Enkel Emil nach Paris fliehen, wo ihr Sohn Fritz, der bereits 1935 nach Frankreich ausgewandert war und und 1938 die französische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, lebte. Noch in der Emigration verfasste sie ihre Erinnerungen, die unter dem Titel “Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte” im Jahr 1939 in Stockholm veröffentlicht wurden.

Durch den Vormarsch der deutschen Truppen nach Frankreich war sie 1940 neuerlich zur Flucht gezwungen, über Bourges, Moulins und Vichy nach Montpellier und von dort weiter nach Algier, wo sie mit ihrer Familie, Sohn Fritz, Schwiegertochter Gertrud und Enkel Emil wieder vereint war.

Nach der Befreiung Algiers durch die Alliierten 1942 gestaltete sie für deren Radiosender eine Sendung und wurde auch in dieser Rolle zum Star. Den Friedensschluss 1945 hat sie, obwohl schon schwer erkrankt, noch miterlebt. Ihrem Sohn gelang es, sie mit einer Militärmaschine in ein Krankenhaus nach Frankreich bringen zu lassen. Sie starb im Oktober 1945 in Paris und wurde auf dem Friedhof Pere Lachaise beigesetzt.

Auch bei Berta Zuckerkandl hat es Jahre gedauert, bis sie in ihrer Rolle als Förderin der Wiener Moderne, Vorkämpferin für die Secession und Wiener Werkstätte und Mitbegründerin der Salzburger Festspiele anerkannt wurde und den ihr zustehenden Platz in der Geschichte Österreichs erhalten hat. Der über Flucht und 2. Weltkrieg gerettete Nachlass wurde von der Österreichischen Nationalbibliothek ab 2012 in mehreren Tranchen erworben.

Links:

zum Nachhören: Berta Zuckerkandl. Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig. Gelesen von Karin Lischka. Am Klavier: Gottlieb Wallisch. Mono Verlag https://www.youtube.com/channel/UC89reQaDGG2hG85ii-2TeXw

Bücher:

Bertha Zuckerkandl, Österreich intim. Erinnerungen 1892-1942. Ergänzte und neu illustrierte Ausgabe. Amalthea Verlag, Wien München 1970

Lucian O. Meysels, In meinem Salon ist Österreich. Berta Zuckerkandl und ihre Zeit. Erweiterte Neuauflage, Edition Illustrierte Neue Welt, 1994

Theresia Klugsberger, Ruth Pleyer (Hg.), Flucht! Berta Zuckerkandl. Von Bourges nach Algier im Sommer 1940. Czernin Verlag, Wien 2013

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