Friedl Dicker
Künstlerin und Pädagogin
Friedl Dicker-Brandeis war ein künstlerisches Multitalent und eine herausragende Pädagogin. Geboren 1898 in Wien, absolvierte sie die eine Lehre für Fotografie an der Graphischen Lehr-und Versuchsanstalt, besuchte anschließend die Textilklasse der Kunstgewerbeschule und danach die Wiener Privatschule von Johannes Itten. Nach dessen Berufung als Lehrer an das neugegründete Bauhaus in Weimar studierte sie 1919 bis 1923 bei ihm am Bauhaus. Sein Einfluss war künstlerisch und menschlich prägend, da sein reformpädagogisches Konzept die Individualität seiner SchülerInnen in den Mittelpunkt stellte und ihre eigenständige künstlerische Entwicklung förderte. Das Bauhaus stand aber nicht nur für eine Innovation in allen künstlerischen Bereichen, sondern thematisierte auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Gestaltung einer besseren Welt.
Nach ihrem Studium gründete sie gemeinsam mit Franz Singer die “Werkstätten Bildender Kunst” in Berlin, in denen Designs für Bucheinbände, Textilarbeiten, Kinderspielzeug gestaltet wurde. Ebenso entstanden Bühnenbilder und -kostüme, vor allem für Berthold Viertels Theater “Die Truppe”.
Im Jahr 1925 kehrte Friedel Dicker nach Wien zurück. Hier wurde im Jahr 1926 das Atelier Singer-Dicker gegründet, das für die Arbeiten in den Bereichen Architektur, Innenarchitektur und Möbeldesign mehrfach ausgezeichnet wurde. Bereits Anfang der 30er Jahre begann Friedl Dicker auch ihre pädagogische Tätigkeit. 1931 wurde sie von der Stadt Wien eingeladen, einen Kurs für Kindergärtnerinnen abzuhalten.
Zu dieser Zeit wurde sie aufgrund ihrer politischen Haltung Mitglied der kommunistischen Partei und schuf kritische Plakate und Collagen über den Kapitalismus und Faschismus. Im Ständestaat war sie im Zuge des Februaraufstandes 1934 verhaftet und monatelang wegen kommunistischer Aktivitäten inhaftiert. Nach ihrer Freilassung emigrierte sie nach Prag. Durch ihre Heirat mit Pavel Brandeis erhielt sie 1936 die tschechische Staatsbürgerschaft.
Gemeinsam mit einer ehemaligen Bauhaus-Kollegin, Grete Bauer-Fröhlich, setzte sie in Prag ihre künstlerischen und innenarchitektonischen Arbeiten fort, wobei sie sich in dieser Lebensphase vor allem der Malerei zuwandte. In der Bildserie “Das Verhör” hat sie diese Zeit im Gefängnis aufgearbeitet. Sie malte aber auch Landschaften, Stillleben, Portraits.
Aber auch ihre pädagogische Arbeit mit Kindern von Emigranten führte sie weiter, wobei sie die Reformpädagogik Itten`s übernahm und ihre Erfahrungen mit der Psychoanalyse einfließen ließ. Sie erkannte die therapeutische Wirkung des Zeichnens und setzte sie aktiv ein, besonders bei traumatisierten Kindern.
Von 1938 bis 1942 lebten Sie und ihr Mann in Hronov bei Prag und arbeiteten in der Textilfabrik B. Spiegler & Söhne. 1942 wurde das Ehepaar in das Lager Theresienstadt deportiert.
In dieser Phase hat sie selbst weniger gemalt, überliefert sind vor allem ihre letzten Werke aus dem Jahr 1944, von denen sich über einhundertdreißig im Simon Wiesenthal Center in Los Angeles befinden. Die Themen sind Landschaften, Blumen, Menschen, Straßenszenen, abstrakte Kompositionen und Entwürfe für Theaterproduktionen.
Unter den verheerenden Lagerzuständen organisierte Friedl Dicker Zeichenkurse für Kinder. Sie hat die Kinder dazu angeregt, ihre Träume, Wünsche und Erinnerungen zu malen. Aber selbstverständlich finden sich auch die Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse des Lageralltags darunter.
Über 5000 dieser Kinderzeichnungen sind überliefert, da sie in zwei Koffern auf dem auf einem Dachboden verstreckt und nach Kriegsende gefunden wurden. Sie sind heute in der Gedenkstätte Theresienstadt, im Jüdischen Museum in Prag und in Ausstellungen zu sehen und viele davon auch veröffentlicht worden.
1944 wurde Friedl Dicker mit dem Transport EO-167 nach Ausschwitz gebracht und dort am 9. Oktober 1944 ermordet.
“Wenn jemand unter den schlimmsten Bedingungen der Freiheitsberaubung, am Rande des Todes, über die richtige Erziehung nachdenken kann, über die Kreativität als Ausdruck einer allmächtigen Freiheit, dann können Seelen aus der Asche auferstehen, das Böse wird zugrunde gehen und die Menschheit überleben. Denn durch Hoffnung lebt der Mensch.” (Elena Makarova, Friedl Dicker-Brandeis – Ein Leben für Kunst und Lehre. Wien-München 1999) http://www.webcitation.org/6RbFPo76E
Literatur:
Kinderzeichnungen aus Theresienstadt (1941-1945). Ein Beitrag zur Erinnerungs- und Vermächtniskultur. Hg. Jüdisches Museum Prag. Tectum Wissenschaftsverlag. 1. Auflage, 2015.
Siehe auch:
Ausstellung “Das Herz so schwer wie Blei”. Kunst und Widerstand im Ghetto Theresienstadt”: http://www.diequerdenkerin.at/ausstellung-das-herz-so-schwer-wie-blei/
Zeitzeugin Helga Pollak-Kinsky: https://www.diespurensucherin.at/zeitzeugin-helga-pollak-kinksy/