Große Töchter!
Gesellschaftliche Veränderungen und ihr sprachlicher Ausdruck
Die Diskussion um gendergerechte Sprache wird seit Jahrzehnten mit einer Vehemenz geführt, die einen staunen lässt. Grundsätzlich geht es darum, tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen der Rolle der Frau im 20. Jahrhundert auch in der Sprache abzubilden.
Sprachliche Gleichbehandlung von Frau und Mann ist ein Thema, das zuerst in der feministischen Frauenbewegung in den 1970er Jahren diskutiert wurde und dann sehr bald auch in sprachwissenschaftlichen Publikationen und ihren Niederschlag gefunden hat. Bereits 1987, also vor nunmehr 35 Jahren (!), wurde vom Sozialministerium eine Studie von Prof. Dr. Ruth Wodak veröffentlicht, in der sie unter Mitarbeit von Gert Feistritzer, Sylvia Moosmüller und Ursula Doleschal die Frage der sprachlichen Gleichbehandlung mit Bezug auf Sprachgeschichte , Sprachpolitik und internationale Perspektiven analysiert und die Möglichkeiten der deutschen Sprache zur sprachwissenschaftlichen Gleichbehandlung von Frau und Mann aufgezeigt hat.
Eine weitere Publikation von offizieller Seite war die vor 25 Jahren in der Schriftenreihe der Frauenministerin im Jahr 1997 herausgegebene Studie “Kreatives Formulieren. Anleitungen zu geschlechtergerechtem Sprachgebrauch” die von Maria Kargl, Karin Wetschanow und Ruth Wodak vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien durchgeführt wurde. Bereits damals haben die Autorinnen darauf hingewiesen, dass sich hinter den Argumenten für die Ablehnung von neuen Sprachregelungen “oft eine ideologisch motivierte, emotional gefärbte Abwehr” verbirgt und jene, die sprachliche Richtlinien zu nichtsexistischer Sprache ablehnen, meist auch Verbesserungen der sozialen Realität der Frauen ablehnen (vergl. S. 17).
“Im Widerspruch zu dem Argument der ‘Sprachspielerei’ und der ‘Unwichtigkeit’ steht gewöhnlich die Heftigkeit und Emotionalität der Abwehr, die gegen einen geschlechtergerechten Sprachwandel aufgewendet wird. So unwichtig ist die Änderung von Sprachgewohnheiten offensichtlich wieder nicht, dass Mann sie einfach akzeptieren und damit auf einige Bevorzugung verzichten würde.” (Kreatives Formulieren, 1997, S. 17)
Ganz besonders deutlich wurde dies in der Diskussion um die Änderung des Textes der Österreichischen Bundeshymne – wo bei es nicht um eine grundsätzlich Änderung ging, sondern nur um eine Ergänzung um das Wort “Töchter” in der ersten Strophe der Bundeshymne und eine Änderung in der 3. Strophe, in der das Wort “Brüderchöre” durch “Jubelchöre” ersetzt wurde.
Der von Paula Preradovic verfasste Text der Österreichische Bundeshymne war nach dem Zweiten Weltkrieg durch Ministerratsbeschluss vom 25. Februar 1947 eingeführt worden; die Melodie, die vermutlich von Johann Baptist Holzer stammt, wurde bereits durch Ministerratsbeschluss vom 22. Oktober 1946 festgelegt.
Im ursprünglichen Text war in der ersten Strophe die Zeile “Heimat bist du großer Söhne” enthalten. Was im Rückblick gerne als einvernehmliche und zeitgemäße Änderung des Textes in “Heimat großer Töchter und Söhne” dargestellt wird, wurde tatsächlich bereits jahrelang von führenden Politikerinnen gefordert und letztlich durch eine parteienübergreifende Aktion von ÖVP-, SPÖ- und Grünen Frauen durchgesetzt.
Eigentlich wollte Bundesministerin Maria Rauch-Kallat die Änderung der Bundeshymne in ihrer Abschiedsrede im Parlament einbringen. Dies wurde von ihrer eigenen Fraktion dadurch verhindert, dass der ÖVP-Klub einen (männlichen) Abgeordneten nach dem anderen an das Rednerpult geschickt hat, sodass ihr Redebeitrag verhindert wurde. Trotz dieser unsäglichen Vorgänge im Plenum des Nationalrates wurde der Selbständige Antrag eingebracht und dem Verfassungsausschuss zugewiesen.
Der Antrag der Abgeordneten zum Nationalrat BM d. D. Maria Rauch Kallat (ÖVP), Renate Csörgits (SPÖ), Mag. Judith Schwentner (Grüne), Mag. Gisela Wurm (SPÖ), Dorothea Schittenhelm (ÖVP), Dr. Sabine Oberhauser (SPÖ), Mag. Daniela Musiol und Heidrun Silhavy (SPÖ) vom 8. Juli 2011 wurde als Selbständiger Antrag dieser Abgeordneten eingebracht und war eine parteiübergreifende Initiative dieser Abgeordneten zur Änderung des Textes der Bundeshymne: “…mit der Überzeugung, dass Sprache wie kein anderes Medium Bewusstsein prägt, ersuchen die unterzeichneten Abgeordneten den Nationalrat, eine einfache aber geschlechtergerechte Änderung der Österreichischen Bundeshymne zu beschließen“ (Text Initiativantrag).
In der Diskussion über das zu beschließende Bundesgesetz hat Frau Abg. z. NR Dorothea Schittenhelm am 7. Dezember 2011 eine beachtenswerte Rede gehalten, deren Inhalt auf den Punkt bringt, um was es geht:
„So, wie die Männer in der Vergangenheit und auch heute große Leistungen erbringen, haben das die Frauen in der Vergangenheit getan und tun das heute noch, großartige Leistungen, die ihresgleichen suchen. Österreich kann daher dem Statussymbol, unsrer Bundeshymne, die Ergänzung mit „Töchter“ wohl nicht verwehren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was prägt denn das Selbstverständnis eines Landes? – Es sind die Menschen dieses Landes, es sind die Männer und Frauen, die das Selbstverständnis prägen, ihre Leistungen, die sie in der Geschichte erbracht haben und heute erbringen, und vor allem auch, wie sie die Herausforderungen zu jeder Zeit und auch Schicksale in schwierigen Zeiten gemeistert haben….
Sprache prägt Bewusstsein. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dem so ist. Mit der Veränderung des Textes unserer Bundeshymne, mit der auch den „großen Töchtern“ der gebührende Platz eingeräumt wird, wodurch sich auch die Mehrheit der Bevölkerung angesprochen fühlt, müssen und sollen und werden wir dem auch Rechnung tragen. Es ist das für mich aber nicht nur eine sprachliche Textanpassung, meine geschätzten Damen und Herren, nein, sondern das ist für mich vor allem auch Ausdruck der Änderung der Bewusstseinshaltung, der Wertschätzung der Leistungen der Frauen in unserem Lande.“ (Nationalrat, XXIV GP, 137. Sitzung, 7. Dezember 2011, Stenograph. Protokolle, S. 202)
Das Gesetz wurde am 7. Dezember 2011 beschlossen; der geänderte Text wurde in das Gesetz aufgenommen. In Kraft getreten ist das Bundesgesetz über die Bundeshymne der Republik Österreich mit 1. Jänner 2012.