Maria Austria
Fotografin im Exil
Der in Österreich weitgehend unbekannten, in den Niederlanden als richtungsweisend vielbeachteten Fotografin Maria Austria ist eine Ausstellung des Jüdischen Museums Wien mit dem Titel “Fokus! Jetzt! Maria Austria – Fotografin im Exil” gewidmet, die erstmals in Österreich einen Überblick über ihr Schaffen von den Anfängen 1933 bis Mitte der 1970er Jahre gibt.
Maria Oesterreicher wurde 1915 in Karlsbad geboren, wo sie als Tochter einer gutbürgerlichen, jüdischen assimilierten Familie aufwuchs, zur Schule ging und 1933 die Matura am Mädchengymnasium in Karlsbad ablegte. Bereits während ihrer Schulzeit kam sie im Wintersemester 1931/32 für einen längeren Aufenthalt nach Wien, wo sie ein Stenografie- und Schreibmaschinendiplom sowie ein Diplom für Rechnungswesen, kaufmännische Arithmetik, Korrespondenz und Handel erworben hat.
Da sie sich schon während ihrer Schulzeit für Fotografie interessierte, kehrte sie nach der Matura nach Wien zurück, um hier an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt in der Abteilung Photographie und Reproduktionsverfahren eine dreijährige Ausbildung zur Fotografin zu machen. Hier hatte sie die Möglichkeit, die Grundlagen ihres Berufs zu erlernen und ein breites Spektrum an verschiedenen Stilrichtungen, von der konservativen Heimatfotografie bis hin zu modernen Stilrichtungen der Neuen Sachlichkeit und des Neuen Sehens kennenzulernen. Bereits während ihrer Ausbildungszeit (1933-1936) machte sie 1934/35 ein unbezahltes Praktikum im Fotoatelier von Wilhelm Willinger, des Besitzers der größten Fotoagentur Österreichs.
Schon in ihren Anfangsjahren machte sie hervorragende Porträts, Stillleben und Fotoreportagen und konnte als Pressefotografin 1935 bis 1937 erste Fotos in Wiener Illustrierten veröffentlichen, wie zum Beispiel über den Christkindlmarkt in Wien, die Arbeit von Glasbläsern, ein Pfadfindertreffen in Wien. Da sie schon als Jugendliche in Karlsbad von Bühne, Musik und Tanz fasziniert war, besuchte sie die Theater, um Fotos von Bühnenszenen zu machen.
Aufgrund der politischen Situation in Österreich, die geprägt war durch das austrofaschistische Regime, dem Verbot parteipolitisch links stehender Medien, ab 1936 dem steigenden Einfluss der Nationalsozialisten und zunehmenden Antisemitismus, entschloss sie sich Ende 1937, Österreich zu verlassen.
Sie ging nach Amsterdam zu ihrer Schwester Lisbeth, die als am Bauhaus ausgebildete Textildesignerin dort tägig war und gründete mit ihr gemeinsam das Atelier “Model en Foto Austria”. Damals entstanden die Fotos der Strickmodelle ihrer Schwester, zudem spezialisierte sie sich auf Kinderporträts. Ende 1939 nahm sie den Künstlernamen Maria Austria an.
Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht im Jahr 1940 wurden Juden und Jüdinnen zunehmend ausgrenzt und verfolgt. Aufgrund des Berufsverbotes musste sie ihre Tätigkeit als Fotografin beenden, arbeitete dann als Krankenschwester und Lehrerin für Fotografie für den Judenrat in Amsterdam. Nachdem 1942 Jüdinnen und Juden gezwungen wurden, sich im Durchgangslager Westerbork zu melden, befolgte Lisbeth Oesterreicher den Befehl; sie überlebte den Krieg im Lager. Maria Austria tauchte 1943 unter und schloss sich dem Widerstand an, für den sie gemeinsam mit anderen Identitätskarten fälschte und unter dem Namen Elizabeth Huijnen Kurierdienste übernahm.
Nach Kriegsende musste sie erfahren, dass ihre Mutter im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde. Ihr Bruder Felix und ihre Schwägerin starben nach der Befreiung an den Folgen ihrer Internierung im Konzentrationslager. Die drei Töchter ihres Bruders überlebten, wurden von Lisbeth Oesterreicher aufgenommen und von ihr und Maria betreut.
Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Henk Jonker, den sie während des Krieges kennengelernt hatte, Aart Klein, Willem Zilver Rupe, Paul Huf, Puck (Helene) Voute und Lood van Bennekom gründete sie 1945 die Fotoagentur “Particam” (abgekürzt für die Worte Partisanen und Camera). Sie arbeitete für Tageszeitungen, Zeitungen und Theaterensembles und das Holland Festival.
Nach 1945 fotografierte sie die Zerstörungen des Krieges, das Elend, den Wiederaufbau und Alltagsleben der Bevölkerung. Ein Auftrag, der mit ihrem Namen verbunden bliebt, ist jener, “Het Achterhuis” zu fotografieren, jenes Haus, in dem Anne Frank und ihre Familie vor den Nazis versteckt waren. Nach dem Erscheinen des Tagebuchs von Anne Frank wurde eine Bühnenfassung geplant, wofür für das Bühnenbild Fotos des Hauses benötigt wurden. Gemeinsam mit dem Vater, Otto Frank, den Autor:innen und dem Regisseur der Bühnenfassung besuchte sie 1954 das Haus und konnte 62 Bilder anfertigen, die heute als Zeitdokumente gelten und im Archiv der New York Publik Library aufbewahrt werden.
Da sie nach dem Krieg staatenlos war und als ledige Frau kein Geschäft führen durfte, heiratete sie 1950 Henk Jonker. Nach ihrer Heirat erhielt sie die niederländische Staatsbürgerschaft; 1956 wurde in den Niederlangen die wirtschaftliche Gleichberechtigung der Frauen Gesetz. Mit Henk Jonker gemeinsam führte sie nach dem Ausscheiden der anderen Fotograf:innen die Agentur bis 1963 und nach ihrer Scheidung ab 1963 bis zu ihrem Tod 1975 unter dem Namen “Maria Austria-Particam” alleine unter Mithilfe von bei ihr beschäftigten Assistenten weiter. Ihre zentralen Themen wurden wieder Porträts, das Theater, der Tanz und die Musik.
Wieder spielte auch die Kultur eine besondere Rolle. Bereits kurz nach Kriegsende hatte Maria Austria begonnen, Kontakte zu den führenden Personen den Kulturbetriebs in Amsterdam aufzunehmen, zu Theatern, Museen, dem Direktor des Holland Festivals und Schauspieler:innen, Kontakte die für die zukünftige Arbeit der Fotografin wesentliche Bedeutung haben sollten, da sie schon ab den späten 1940er-Jahren und in den 1950er-Jahren begann, Porträts von Künstler:innen, Fotos und Reportragen von Theater-, Opern-, Ballett- und Musikaufführungen und Zirkusdarbietungen anzufertigen. Sie interessierte sich sowohl für gesellschaftskritisches als auch avantgardistisches Theater und wurde Ende der 1960er-Jahre Hausfotografin des Mickery Theaters, in dem alternatives experimentelles Theater aufgeführt wurde. Mit ihren richtungsweisenden Arbeiten hat sie die niederländische Theaterfotografie revolutioniert.
Nach ihrem Tod im Jahr 1975 wurde die Stiftung Fotoarchiv Maria Austria-Particam mit dem Ziel gegründet, ihren Nachlass zugänglich zu machen und ein Archiv für niederländische Fotograf:innen aufzubauen. 1992 wurde die Stiftung in Maria Austria Institut (MAI) umbenannt und heute im Stadtarchiv Amsterdam untergebracht ist. Vom Amsterdamer Fonds für die Künste wird alle zwei Jahre ein Maria-Austria-Preis für Fotografie ausgelobt.
Maria Austria war Mitglied der Vereinigung der Niederländischen Fotojournalisten und hat sich von 1945-1975 als Vorstandsmitglied der Abteilung Fotografie des Verbandes für angewandte Kunst in den Niederlanden. Ihr besonderes Anliegen war die Anerkennung der Fotografie als eigenständige Kunstrichtung.
Maria Austrias Arbeiten sind gekennzeichnet durch handwerkliches Können, Perfektionismus in der Ausführung ihrer Arbeit und einem nicht nur professionellen, sondern zutiefst einfühlsamen und emphatischen Blick auf die Menschen und ihre Umwelt. Sie selbst hat von sich gesagt, dass sie Fotografin sei, keine Künstlerin. Bezogen auf ihr Selbstverständnis als Fotografin, als Leiterin einer Fotoagentur und ihrer Tätigkeit als Presse- und Reportagefotografin mag das wohl stimmen. Ihre Bilder aber zeigen uns eine Künstlerin, deren Werkzeug die Kamera war.
Die Ausstellung ist bis 14. Jänner 2024 im Jüdischen Museum Wien zu sehen!
Adresse: Jüdisches Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien https://www.jmw.at/
Öffnungszeiten: Sonntag bis Freitag 10:00 bis 18:00 Uhr
Katalog: Zur Ausstellung ist ein schön bebilderter Katalog mit Fotografien von Maria Austria aus den Jahren 1929 bis 1974 erschienen: Fokus! Jetzt! Maria Austria – Fotografin im Exil. Hg. von Andrea Winklbauer. Jüdisches Museum Wien, 2023
Link: Maria Austria Institut/ Fotos von Maria Austria: https://www.maibeeldbank.nl/fotograaf/1