So leben wir: Fabrikarbeiterinnen 1932/2018
Die Lebens- und Arbeitssituation von Fabrikarbeiterinnen 1932 und 1918
Bereits im Jahr 1932 hat Dr.in Käthe Leichter, Staatswissenschaftlerin und damals Leiterin des Frauenreferats der Arbeiterkammer Wien, eine Studie über die Lebenssituation von Fabrikarbeiterinnen mit dem Titel “So leben wir…” herausgegeben.
Mit dieser wissenschaftlichen Studie, deren Grundlage die Befragung von 1320 Industriearbeiterinnen in Wien zu ihrer berufliche Situation, ihrem familiären Leben, ihrer Gesundheit und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie war, wurde deren Lebenssituation erstmals systematisch erhoben.
Von den insgesamt rund 55.000 Industriearbeiterinnen waren mehr als die Hälfte in der Nahrungs-, Genussmittel- und Textilindustrie beschäftigt. Weitere Arbeitsbereiche waren die chemische Industrie, Eisen-, Metall- und Papierindustrie.
Die Forschungsfragen dieser Studie wurden von den Soziologinnen Dr.in Claudia Sorger und Mag.a Nadja Bergmann (Institut L&R Sozialforschung) im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und der Stadt Wien wieder aufgegriffen. Die Ergebnisse wurden in der 2018 fertiggestellten Studie “So leben wir heute… Wiener Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben. Auf den Spuren Käthe Leichters” veröffentlicht.
Die einschneidenden Veränderungen im Sektor Industriearbeit in den letzten Jahrzehnten haben dazu geführt, dass im Jahr 2015 nur mehr rund 5.500 Frauen in Wien in den Bereichen Pharma-, Elektro-, Nahrungsmittel-, Textil-, Metall-, Kfz-, Papier-, Spielwaren und Schmuckindustrie beschäftigt sind. Von diesen haben 337 (rund 6%) an der aktuellen Fragebogenerhebung und 20 an den qualitativen Interviews teilgenommen.
Die Befragung befasste sich mit dem Ausbildungshintergrund, der Arbeitszeit, der ökonomischen Situation, den Belastungen am Arbeitsplatz, der Hausarbeit und Kinderbetreuung, der Wohnsituation und der Freizeitgestaltung.
Vor dem Hintergrund der großen Veränderungen, die im Sektor Industriearbeit und im Bereich der ArbeiterInnen- und Frauenrechte stattgefunden haben, zeigen die Ergebnisse, dass es in einigen Bereichen wie beispielsweise bei der Wohnsituation, dem Gesundheits- und ArbeitnehmerInnenschutz und den öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen, wesentliche Verbesserungen gegeben hat.
In anderen Bereichen aber hat sich die Situation nicht wesentlich geändert: Oft findet die Ausbildung der Frauen im konkreten Arbeitsbereich keine Anerkennung, Aus- und Weiterbildung wird in den wenigsten Fällen angeboten. Hoher Arbeitsdruck in Schicht- und Vollzeitarbeit, mit teilweise sehr frühem Arbeitsbeginn und langen Anfahrtszeiten der Pendlerinnen, und – da der überwiegende Teil der Haushalts- und Betreuungsarbeiten nach wie vor von den Frauen geleistet wird – bewirken, dass mangelnde Freizeit nach wie vor ein Problem ist. Ebenfalls nichts geändert hat sich an der mangelnden Anerkennung bzw. Wertschätzung der sog. Frauenarbeitsbereiche, was nach wie vor in den ungerechtfertigten, niedrigeren Einkommensniveaus in frauendominierten Industrien seinen Niederschlag findet.
Eine massive Veränderung zeigt sich darin, dass heute das Thema Arbeiterinnenbildung kaum noch Bedeutung hat und die Arbeiterinnen kaum mehr organisiert sind.
Teil der Studie sind sowohl generelle Empfehlungen als auch Empfehlungen zu den einzelnen Kapiteln der Befragung.
Beim Durchlesen der notwendigen, richtigen und dringend umzusetzenden Empfehlungen überkommt einen die Wut darüber, dass manche Forderungen überhaupt noch gestellt werden müssen:
Anerkennung der Qualifikationen und Ausbildungen, deren Anerkennung bei Einstufungen in Kollektivverträgen, Weiterbildungsangebote, Abschaffung bestehender Ungleichbehandlungen, eine Informationskampagne zum rechtlichen Schutz gegen sexuelle Belästigung, Schulung von Betriebsrätinnen – das alles sollte längst Realität sein!
Forschungsbericht:https://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/Frauen/So_leben_wir_heute.pdf
Präsentation: http://www.lrsocialresearch.at/files/Praesentation_Industriearbeiterinnen_L&R.pdf