Tante Truus

Tante Truus

oder “die verrückte Frau Wijsmuller”

Für die Kinder, für die sie Kindertransporte in die Freiheit organisierte, war sie Tante Truus, für die nationalsozialistischen Machthaber “die verrückte Frau Wijsmuller”, von Yad Vashem wurde sie als Gerechte unter den Völkern geehrt: Geertruida Wijsmuller-Meijer.

Geboren 1896 als Geertruida Meijer in Alkmaar in den Niederlanden, wuchs sie in dieser Kleinstadt auf und besuchte dort die Handelsschule. 1913 zog sie mit ihrer Familie nach Amsterdam, wo sie ab 1914 in einer Bank arbeitete. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann, Joop Wijsmuller, kennen, den sie 1922 heiratete.

Da die Ehe kinderlos bleib, widmete sie sich – unterstützt von ihrem Ehemann – sehr bald verstärkt sozialen Aktivitäten. Sie war Koordinatorin einer Organisation für Hauskrankenpflege, Leiterin einer Kinderkrippe, war mitverantwortliche für das Amsterdamer Waisenhaus Burgerweerhuis, im niederländischen Komitee für jüdische Belange tätig, Mitglied einer Frauenvereinigung und gründete 1938 eine Vereinigung für freiwillig tätige Frauen.

G. Wijsmuller-Meijer

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 begann sie, Verfolgten, vor allem jüdischen Kindern, bei der Flucht aus Nazideutschland zu helfen.

Die niederländische Historikerin Miriam Keesing beschrieb, dass Wijsmuller-Meijer in den Niederlanden und Deutschland ein riesiges Netzwerk an jüdischen und nichtjüdischen HelferInnen aufbaute, mit denen sie bei Ihren Hilfsaktionen zusammenarbeitete.

Als in der Folge des Novemberpogroms 1938 im Dritten Reich, zu dem nach dem Anschluss im März auch Österreich gehörte, das britische Parlament beschloss, 10.000 jüdische Kinder aus dem Dritten reich aufzunehmen, ersuchten britische Hilfsorganisationen Geertruida Wijsmuller-Meijer um Unterstützung, da sie aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeiten einerseits über entsprechende Erfahrungen und andererseits über ein geeignetes Netzwerk für diese riesige Hilfsaktion verfügte. Ihr Vorteil war auch, dass sie als Nichtjüdin Zugang zu den von den Nationalsozialisten beherrschten Behörden hatte.

Geertruida Wijsmuller-Meijer reiste daher Anfang Dezember 1938 nach Wien und erreichte von Adolf Eichmann persönlich die Zusage, dass 600 Kinder nach England ausreisen dürfen, wenn dieser Transport innerhalb von 5 Tagen organisiert werden könnte – weil Eichmann davon ausging, dass sie das nicht schaffen würde. Es kam anders: in Zusammenarbeit mit verschiedenen Gruppen und HelferInnen wurde der Kindertransport organisiert; am 11. Dezember 1938 fuhr der Zug von Wien-Hütteldorf über die Niederlande nach England ab.

Es war der erste Kindertransport – bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 sollten weitere 74 folgen, die von Wien, Frankfurt, Hamburg, Berlin, Breslau, Prag, Danzig und Königsberg mehr als 10.000 jüdische Kinder aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei nach England brachten, davon 2.800 Kinder aus Österreich. Der letzte Zug, mit dem noch jene Kinder gerettet werden konnten, die in verschiedenen Waisenhäusern in Amsterdam untergebracht waren und dort auf die Weiterreise warteten, verließ Amsterdam am 14. Mai 1940, einen Tag vor der Kapitulation der Niederlande nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht.

Statue von Frank Meisler am Londoner Bahnhof Liverpool Street Station, an dem die meisten Kindertransporte ankamen (Foto: Meatle auf Pixabay)

Auch danach war sie als Fluchthelferin tätig, sowohl für Kinder aus den Niederlanden und dem besetzten Frankreich als auch für jüdische Flüchtlinge aus dem Baltikum und Polen. Ab 1941 begleitete sie Gruppen von jüdischen Flüchtlingen nach Südfrankreich und Spanien. Gleichzeitig engagierte sie sich für den Transport von Medikamenten und Nahrungsmitteln in die französischen Lager Gurs und St. Cyprien. Diese Aktivitäten musste sie nach zweimaliger Verhaftung durch die Gestapo einstellen, um andere Hilfsprojekte nicht zu gefährden.

Sie begann daher gemeinsam mit der Widerstandsgruppe Groop 2000 und einer kirchlichen Gruppe Nahrungsmittelpakete für im Durchgangslager Westerbork, im Ghetto Theresienstadt, im KZ Bergen-Belsen und in Gefängnissen in Amsterdam internierte Verfolgte des Nazi-Regimes zu organisieren.

In dieser Zeit rettete sie 50 jüdischen Waisenkindern das Leben, die aus dem Durchgangslager Westerbork in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert werden sollten, indem sie die Nationalsozialisten davon überzeugte, dass die Kinder “arisch” seien, da ihre Mütter aus den Niederlanden und ihre Väter aus Deutschland stammen würden. Sie erreichte damit eine “Sonderbehandlung”, sodass die Kinder nicht nach Ausschwitz, sondern in das Ghetto Theresienstadt gebracht wurden. Alle 50 Kinder haben überlebt und sind nach Kriegsende mit dem ersten Zug, der von Theresienstadt in die Niederlande fuhr, zurückgekehrt und wurden, als der Zug in Maastricht eintraf, von “Tante Truus” begrüßt.

In den Jahren 1944/1945 organisierte sie für 7.000 hungernde Kinder aus Amsterdam die Möglichkeit eines Landaufenthalts zur Erholung.

G. Wijsmuller-Meijer (1965)

Nach Kriegsende war sie von 1945 bis 1966 Mitglied des Gemeinderats von Amsterdam, wobei ihr besonderes Engagement der Behindertenarbeit und der Einrichtung von Behindertenarbeitsplätzen galt. 1964 ist ihre Autobiographie mit dem Titel “Geen tijd voor tranen” („Keine Zeit für Tränen“) erschienen. 1978 ist sie in Amsterdam gestorben.

Die Niederlande und Frankreich ehrten sie für ihr Engagement im Widerstand mit hohen Orden und der Zuerkennung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Amsterdam. Von der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel wurde ihr 1966 der Ehrentitel “Gerechte unter den Völkern” zuerkannt.

Link:

Yad Vashem Datenbank: Eintrag Wijsmuller-Meijer und Fotos https://righteous.yadvashem.org/?search=Wijsmuller&searchType=righteous_only&language=en&itemId=4018228&ind=0

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