Ungarn 2020
Der Weg aus der Demokratie
Maßnahmen zur Ausbreitung des Corona-Virus sind notwendig, müssen jedoch in jenen Fällen, in denen sie zu einer unangemessenen Einschränkung demokratischer Grundrechte, rechtsstaatlicher Prinzipien und von Menschen- und Freiheitsrechten missbraucht werden, kritisch hinterfragt werden.
Bereits in den letzten Jahren haben die politischen Entwicklungen in Ungarn Anlass zur Besorgnis gegeben, als unter dem Eindruck der sog. Flüchtlingskrise Notfallgesetze zur Einschränkung der rechte Asylsuchender verabschiedet wurden, deren Aufhebung bis heute nicht erfolgt ist. In weiterer Folge wurden die Freiheiten der Opposition zur Bildung von Bündnissen im Parlament eingeschränkt, die Zuständigkeiten und der politische Einfluss der Gemeindebehörden eingeschränkt und der Einfluss liberalen Gedankenguts durch Einschränkungen der Freiheit der Kunst und der Wissenschaft auf ein Mindestmaß reduziert. Im Zusammenhang mit der jetzigen Krisensituation aufgrund der Pandemie erfolgte Ende März auf unbestimmte Zeit eine Entmachtung des Parlaments und die Abschaffung der Demokratie.
Das ungarische Parlament hat am 30. März 2002 mit der dafür notwendigen Verfassungsmehrheit ein zeitlich unbefristetes Notstandsgesetz beschlossen, das von Präsident Janos Ader kurz nach der parlamentarischen Abstimmung beurkundet wurde und bereits am 31. März in Kraft getreten ist.
Mit diesem Gesetz werden der Regierung unter Premier Victor Orbán umfassende Sondervollmachten eingeräumt, die es der Regierung ermöglichen, ohne parlamentarische Zustimmung und Kontrolle per Dekret – durch Notverordnungen – zu regieren.
Das Notstandsgesetz enthält keine zeitliche Beschränkung der Geltungsdauer, wurde also trotz heftiger Kritik der Opposition auf unbestimmte Zeit beschlossen. Lt. ungarischem Grundgesetz entscheidet damit die Regierung selbst darüber, wann das Notstandsgesetz aufzuheben ist.
Dies ist insofern von Bedeutung, als das Notstandsgesetz besagt, dass keine Wahlen und Volksabstimmungen stattfinden dürfen, solange die Regierung an der Notstandsgesetzgebung festhält.
Zudem bedeutet das Notstandsgesetz die Aufhebung der Gewaltenteilung, der parlamentarischen Kontrolle, die Möglichkeit einzelne Gesetze außer Kraft zu setzen und eine Vollmacht zur Einschränkung der Menschenrechte. Weiters bringt es Einschränkungen des Zugangs zu Informationen mit sich, sodass Verlautbarungen der Regierung unüberprüfbar und gleichzeitig „Falschnachrichten“ mit mehrjährigen Haftstrafen bedroht werden.
Notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung der Pandemie wurden damit dazu missbraucht, um einen „Übergang zu einer unkontrollierbaren Autokratie“ (Paul Lendvai) sicherzustellen und eine „Führerdemokratie mit autokratischer Machtausübung in demokratischem Rahmen“ (András Körösényi, Politikwissenschaftler) bzw. einen Einparteienstaat mit demokratischer Ausschmückung (Michael Ignatieff, Präsident der Central European University) zu errichten.
Hintergrund für diese Entwicklung ist lt. Lendvai die nach der Wahlniederlage der Regierungspartei Fidesz bei den Kommunalwahlen 2019 in Budapest und anderen ungarischen Städten für Orbán absehbare mögliche Wahlniederlage bei den 2022 anstehenden Parlamentswahlen, die durch diese Notstandsgesetzgebung verhindert werden können.
Demokratie und Menschenrechte sind wesentliche Grundlagen unseres Zusammenlebens in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Krisenzeiten dürfen nicht dazu verleiten, die Einführung antidemokratischer Maßnahmen, die Aushöhlung demokratischer Grundregeln und die Bedrohung von Grund- und Freiheitsrechten kritiklos hinzunehmen.
„In der Krise beweist sich der Charakter“ (Helmut Schmidt) – und die demokratische Einstellung!
Als Grundlage für die Erstellung dieses Beitrag habe ich Artikel aus den Tageszeitungen Der Standard https://www.derstandard.at/, The Guardian https://www.theguardian.com/uk und Washington Post https://www.washingtonpost.com/ herangezogen