Kunst der Verlorenen Generation
Erinnerung und Anerkennung
Im Zentrum Salzburgs ist im 1. Stock des um 1300 erbauten Steinhauerhauses das Museum Kunst der Verlorenen Generation untergebracht. Hervorgegangen ist dieses Museum, das als gemeinnützige Stiftung geführt wird, aus der Privatsammlung von Prof. Dr. Heinz R. Böhme, der mit der Gründung dieses Museums im Jahr 2017 seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Damit entstand das einzige Museum, das sich ausschließlich der Kunst der Verlorenen Generation widmet.
Die ganz besondere Kunstsammlung, die die BesucherInnen erwartet, ist eine Sammlung von Werken jener KünstlerInnen, deren Schaffen und Karrieren durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten und den Zweiten Weltkrieg unterbrochen, schlimmstenfalls beendet wurde, deren Werke in Vergessenheit gerieten und denen Prof. Dr. Böhme ihren Platz in der Kunstgeschichte bewahrt.
“Es liegt mir nicht daran, “große Namen” zu sammeln, sondern jenen Künstlern eine Rückkehr in die Gegenwart zu geben, die aufgrund historischer Ereignisse im 20. Jahrhundert verfolgt und verboten wurden”. (Heinz R. Böhme, Zitat aus dem Katalog)
Das Suchen, Wiederfinden, Sammeln, die Recherche der Biografien, die kunstgeschichtliche Aufarbeitung und die Ausstellung der Werke gibt den KünsterInnen den Stellenwert in der Kunstgeschichte, der ihnen zukommt. Begonnen hatte die Sammlungstätigkeit zu diesem Spezialbereich mit dem Besuch einer Ausstellung in Berlin zu Leben und Werk des Künstlers Ludwig Jonas, durch die Prof. Dr. Böhme auf die aufgrund der historischen Ereignisse entstandenen “Lücke” in der Kunstgeschichte aufmerksam wurde und dann seine Sammlung gezielt in diesem Bereich aufbaute. Mittlerweile umfasst die Sammlung rund 530 Werke, überwiegend Ölgemälde, aber auch Skulpturen und Grafiken.
Dabei geht es ihm um jene KünstlerInnen, die in den 1920er- und bis zum Beginn der 1930er-Jahre bei Lehrern wie Max Beckmann, Lovis Corinth, Paul Klee und Henri Matisse studierten, ihre Karrieren in dieser Zeit begonnen und sich mit herausragenden Kunstwerken bereits einen Namen gemacht hatten. Bemerkenswert ist, dass rund 35 % der Werke, die sich im Museumsbestand befinden, von Künstlerinnen stammen.
Die meisten der Werke stammen aus den Jahren 1920 bis 1945 und zeigen die Vielfalt der Kunststile der künstlerischen Avantgarde der Zwischenkriegszeit vom Spätimpressionismus und Expressionismus über den Kubismus, Symbolismus, expressiven Realismus bis hin zu Dada, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit. Die Bilder zeigen Porträts, Akte, Stillleben, Landschaften; aber auch Verfolgung und Vernichtung werden thematisiert.
Konnte sich in den 1920er-Jahren die künstlerische Avantgarde noch entfalten und hatten auch Frauen neue Möglichkeiten, künstlerisch tätig zu werden, war diese Zeit mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jänner 1933 zu Ende. Die sofortige Zentralisierung des Kulturbereichs mit der Einrichtung der Reichskulturkammer mit ihren sieben Bereichen Musik, Theater, Schrifttum, Presse, Rundfunk, Film und bildende Künste im Herbst 1933 bedeutete, dass nur jenen KünstlerInnen die Ausübung ihres Berufs erlaubt war, die Mitglied einer der Kammern waren. Voraussetzung dafür waren deutsche Staatsangehörigkeit, arische Abstammung und eine Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen “Kunstauffassung”. Alle anderen verloren ihre Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten, weil sie von den Nationalsozialisten als entartete Künstler eingestuft und aufgrund ihrer Weltanschauung oder weil sie jüdischer Herkunft waren, verfolgt wurden. Manche konnten untertauchen, viele von ihnen mussten in die Emigration gehen, andere wurden in Konzentrationslagern ermordet.
Die derzeit bis April 2023 laufende Sonderausstellung “Wir sehen uns in Paris! Schicksale aus der Sammlung Böhme” widmet sich dem Thema Emigration. Paris war in den 1920er-Jahren als europäische Kulturmetropole Treffpunkt der Avantgarde und durch die vielen anerkannten Kunstschulen ein Anziehungspunkt für junge KünstlerInnen, die ihre Ausbildung dort entweder begannen oder weiterführten. Ab 1933 wurde die Stadt ein Zufluchtsort vor den Nationalsozialisten, die in den Jahren bis zur deutschen Besetzung 1940 Sicherheit und Arbeitsmöglichkeiten bot. Die Sonderausstellung erzählt von Paris “als Begegnungspunkt einzelner Lebensgeschichten, die durch die historischen Umstände der Zeit verbunden sind.” (Zitat Ausstellungsfolder)
Dass die KünstlerInnen und ihre Werke nicht in Vergessenheit geraten sind und ihr Werk die ihnen zukommende Anerkennung erfährt, hat sowohl mit der Sammlertätigkeit und der Präsentation der Werke in einer Dauer- und in Sonderausstellungen als auch damit zu tun, dass die Biografien der KünstlerInnen systematisch erforscht, in ihren kunsthistorischen Zusammenhang gestellt und in dem im Jahr 2020 erschienen Bildband mit dem Titel “Wir haben uns lange nicht gesehen” veröffentlicht wurden.
“Für mich steht der Mensch im Vordergrund. Die Biografie des Künstlers ist für mich wichtiger als die Bildbeschreibung.” ( Heinz R. Böhme, Zitat aus dem Katalog)
Mittlerweile wirkt das Museum Kunst der Verlorenen Generation auch als Impulsgeber für die Beschäftigung von anderen Museen mit dieser kunsthistorisch wichtigen Zeitspanne.
Besondere Empfehlung der Spurensucherin!
Adresse: Museum Kunst der Verlorenen Generation, Sigmund-Haffner-Gasse 12/1. Stock, 5020 Salzburg (Stadtzentrum) https://verlorene-generation.com/museum/
Barrierefreier Zugang nach Voranmeldung möglich!
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 10.00 – 17:00 Uhr
Sonderausstellung “Wir sehen und in Paris!” Schicksale aus der Sammlung Böhme: bis Januar 2023
Sonderausstellung “Verboten schön”. Neues aus der Sammlung Böhme: bis April 2023
Katalog: Heinz R. Böhme (Hg.), Wir haben uns lange nicht gesehen. Kunst der Verlorenen Generation. Sammlung Böhme. Hirmer Verlag, München 2020
Link: Ausgewählte Werke können Sie auf der Homepage ansehen: https://verlorene-generation.com/kunstler/