Wie Wohnen?
Home Stories im Möbelmuseum Wien
Der Titel der Ausstellung “Home Stories. 100 Jahre, 20 visionäre Interieurs” ist Programm. Die vom Vitra Design Museum in Weil am Rhein übernommene Ausstellung zeichnet ausgehend von der Gegenwart die Geschichte und Entwicklung des Wohnens über eine Zeitspanne von 100 Jahren nach.
Dabei geht es nicht um die Geschichte von Wohnstilen, sondern um um einen ideengeschichtlichen Blick auf die Veränderungen des privaten Wohnens. Gezeigt wird, wie seit 1920 die Gestaltung des Wohnraums durch gesellschaftliche, politische und technische Entwicklungen und ihre Einflüsse auf den Lebensalltag und das private Wohnen, beeinflusst wurde und welche Einwirkungen Kunst, Architektur, Mode, Set-Design aus Filmen und einzelne DesignerInnen und InnenarchitektInnen hatten. Damit möchte diese Ausstellung auch einen Beitrag zu einer neuen Debatte über das private Wohnen und seine Zukunftsperspektiven leisten. Lt. dem Vitra Design Museum liegt dabei ein besonderer Fokus auf dem Umstand, dass in der Öffentlichkeit heute Fragen wie die Leistbarkeit des Wohnraums in der Öffentlichkeit verstärkt diskutiert werden, eine ernsthafte gesellschaftliche Auseinandersetzung über das Wohninterieur aber nicht stattfindet.
Vorgestellt werden Ideen und Konzepte, die in der westlichen Welt bis heute Einfluss auf das Wohnen haben, anhand von 20 stilbildenden Innenausstattungen. Die vom Kurator der Ausstellung, Jochen Eisenbrand, ausgewählten Interieurs zeigen Fallstudien mit großformatigen Bildern, Filmen, Modellen, Dokumenten und repräsentativen Referenzobjekten aus den jeweiligen Interieurs. Es sind Beispiele aus den Bereichen Innenarchitektur, Raumausstattung und Möbel, mit denen Wendepunkte in der Wohnraumgestaltung, seiner Nutzung und Einrichtung, erstmals in anschaulicher Form sichtbar wurden.
Gegenwärtig stehen der knapper werdende Wohnraum, dessen Leistbarkeit und in einer digitalisierten Arbeitswelt, das Verschwinden der Grenzen von privaten Wohnraum und Arbeitsplatz, aber auch der Wohnraum als Ware und Spekulationsobjekt im Zentrum der Diskussion; die Bedeutung von Bestandspflege, Raumnutzung und Energiekonzepten nimmt zu. Die Bewerbung und Vermarktung von Wohneinrichtungen durch eine riesige Medienlandschaft, insbesondere auch über weltweite social-media-Kanäle, führt einerseits zu einer Vereinheitlichung von Einrichtungsstilen, andererseits als Gegenbewegung zu sehr individuellen Lösungen.
“Unser Zuhause wird oft eine zweite Haut genannt. Dem würde ich hinzufügen, dass es auch eine physische Ausprägung unseres Charakters ist und wir uns in gewissem Maß darüber definieren, wie wir uns einrichten.” (Jasper Morrison)
Geht man etwas in der Geschichte zurück, sind mit dem gesellschaftlichen Wandel einhergehende Traditionsbrüche der 1960er bis 1980er Jahre erkennbar: in den 1980er Jahren wurden Möbel zum Statussymbol, in den 1970er Jahren erfolgte die “Entdeckung” der Loftwohnung und der Ausbau von IKEA zum global operierenden Unternehmen, in den 1960er Jahren führte der gesellschaftlichen Aufbruch zur Herausbildung vielfältigerer Wohnformen und damit zu einer Veränderung des traditionellen Wohnstils und einer neuen Wohnkultur, die mit großer Experimentierfreudigkeit im Bereich der Innenausstattung verbunden war. Nach der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg hatten in den 1950er Jahren die ersten modernen Haushaltsgeräte Einzug in die Wohnungen gefunden.
In den 1920er und 1930er-Jahren zeigte sich auf der einen Seite erstmals die Gestaltung der ersten offenen Grundrisse für Wohnungen und die Entwicklung zukunftsweisender Wohn- und Einrichtungskonzepte und individuell gestaltete Inneneinrichtungen für das Bürgertum. Auf der anderen Seite war diese Zeit in den europäischen Städten durch eine massive Wohnungsnot geprägt, der durch den Bau von Wohnungen Abhilfe geschaffen werden musste. Aus praktischen und hygienischen Gründen wurden Ornament und Dekoration aus dem Wohnraum verbannt, Stahlrohr ermöglichte die Entwürfe neuer Sitzmöbel, erstmals gab es eine industrielle Fertigung von Möbeln. Im Siedlungsbau war eine Verkleinerung der Küche von einem Wohn- zu einem reinen Arbeitsraum aus ökonomischen Gründen notwendig. “Eine Küche ist eigentlich nichts anderes als ein Laboratorium, und es ließe sich auch viel besser darin arbeiten, wenn sie…auch so ähnlich eingerichtet wäre.” (Margartete Schütte-Lihotzky (1921). Beim Frankfurter Siedlungsbau wurde die von Margarete Schütte-Lihotzky 1926 entwickelte und auf einem standardisierten Modulsystem basierende Küche in verschiedenen Varianten eingebaut; diese Küche ist als “Frankfurter Küche” und Vorläuferin der Einbauküche in die Geschichte eingegangen.
Dieser Überblick über 100 Jahre Geschichte der Innenausstattung von Häusern und Wohnungen bietet die Möglichkeit, Entwicklungen nachzuvollziehen, Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und Wohnformen zu erfassen und Gegensätze wie Funktionalität und Reduktion vs. Individualität und Ornamentierung in einem breiteren Kontext zu sehen. Gleichzeitig fordert sie uns mit der Frage “Wie wohnen?” zu einer Beschäftigung mit der Zukunft des Wohnens heraus.
“Die Ausstellung soll eine neue Debatte über das private Interieur, seine Geschichte und seine Zukunftsperspektiven anregen.” (Jochen Eisenbrand, Kurator der Ausstellung)
Die Ausstellung ist noch bis 29. Mai 2022 im Möbelmuseum Wien zu sehen!
Adresse: Möbelmuseum Wien, Andreasgasse 7, 1070 Wien https://www.moebelmuseumwien.at/
Öffnungszeiten: Dienstag-Sonntag 10:00-17:00 Uhr
Slide-Sow: https://www.moebelmuseumwien.at/unser-programm/alle-termine/detail/home-stories
Buch zur Ausstellung: Home Stories. 100 Jahre. 20 Visionäre Interieurs. Hg. Mateo Kries, Jochen Eisenbrand. Vitra Design Museum, Weil am Rhein, 2020.